Tilleke Schwarz – Stitched Stories: Baarle Nassau(NL) vom 06.03. bis 18.04.2022

Es gibt eine Ausstellung mit den Stickbildern der niederländischen Künstlerin Tilleke Schwarz anzukündigen – was für ein Vergnügen! Zu diesem Anlass gibt es hier einen Auszug aus einem Artikel zu lesen, den ich 2017 für das Magazin Handmade Kultur schrieb:

Gäbe es gesticktes Graffiti, könnte man die niederländische Textilkünstlerin Tilleke Schwarz zu den renommiertesten Aktivistinnen zählen. Ihr originelles Vorgehen ist mit den künstlerischen Methoden der Streetart verwandt. Ihre Assoziationen entwickeln sich, einem ersten Motiv folgend, ohne Erzählstrang, ohne Geschichte mit Anfang und Ende. Indem ihr die Bilder und Motive aus der Nadel fliessen überlässt sie diese dem Betrachter zur freien Interpretation – und ist sehr amüsiert zu erfahren, welche Transformation ihr Werk dadurch erfährt. Sie stickt ihre ironisch grundierten Gedankenspiel-Collagen auf 50 fädiges Leinen, mit extrem feinen, glänzenden und matten Garnen. Ihre Botschaft feiert einzig und allein die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks.

Tilleke Schwarz Seven Axolotls
Tilleke Schwarz „Seven Axolotls“ 2019 64 x 60cm

Als junges Mädchen reiste Tilleke mitte der 60ger Jahren zu einer der ersten europäischen Pop Art Ausstellung nach Den Haag. Die Freiheit der dort präsentierten Kunstwerke, wie zum Beispiel Andy Warhols Siebdrucke der „Coloured Mona Lisa“, begeisterten sie nachhaltig. Später studierte sie Kunst und Textildesign an der Akademie für Kunst & Design, Enschede sowie Textilexperiment und Malerei an der Freien Akademie für moderne Kunst in Den Haag. Sie konzentrierte sich zunächst auf das Zeichnen. Doch diesen schnellen Prozess der Darstellung ersetzte sie bald durch extrem zeitaufwändige textile Techniken, vornehmlich Stickerei, die sie schon als Kind besonders liebte.
Sie nimmt es sehr genau damit, wählt die verschiedenen Sticharten mit Bedacht und führt sie akribisch aus. Die Attraktion ihrer Bilder ergibt sich aus einer graphisch „schnellen“ Anmutung, die bei näherer Betrachtung mit größtem technischen und zeitlichen Aufwand festgehalten wurde. Das nötigt nicht nur Respekt ab sondern berührt den Betrachter im besten Sinne. Das Textile, insbesonderes das offensichtlich Sorgfältige, Hingebungsvolle bringt eine sehr emotionale Komponente in Tilleke’s circa 60 x 70 cm großen Textilbilder.

Tilleke Schwarz all lives matter
Tilleke Schwarz, „All lives matter“, 2021, 64 x 65 cm

Sie verwendet ganz traditionelle Stiche, von der Anlegetechnik des Opus Anglicanum, also englischer Stickerei des Mittelalters, bis hin zu zierlichen Kreuzstichen, deren Motive sich formal an jenen aus Vierländer Mustertüchern anlehnen. Mit technisch präziser Genauigkeit stickt und appliziert sie Motive, die sie mal stilisiert, mal emblematisch, mal realistisch oder auch in der Art von Kinderzeichnungen anlegt. So führt nicht nur das Nebeneinander der eigenwilligen Motivkombinationen sondern auch ihre unterschiedliche stilistische Gestaltung zu verwirrend vielen Interpretationsmöglichkeiten. Diese totale Freiheit in der Komposition und Darstellung findet jedoch immer zu einem gestalterisch augewogenen Gesamtbild, dessen Detailreichtum dem Betrachter ausgiebige Entdeckungstouren erlaubt. Hinzu kommen die, vorrangig wegen ihres graphischen Reizes eingefügten Worte und Texte, die auch inhaltlich das Absurde betonen. Kleine Applikationen von Motiven aus Musterbändchen und Stofffetzchen sitzen wie kleine Inseln im Gewirr der Linien und Motive, Wolkenstrukturen aus Spannstichen in zartesten Farben und Garnen schweben über die Fläche.

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Tilleke Schwarz, „All lives matter“, 2021, Detail

Tilleke Schwarz fischt ihre Themen und Motive wie zufällig aus dem Alltag. Alles was ihr auffällt oder was sie fasziniert ist dazu prädistiniert in einem ihrer Bilder vorzukommen. Überschriften, Texte und Bilder aus den Massenmedien, die sie aus dem Zusammenhang reist um Unsinn zu kreieren, graphische Akzente zu setzen oder einfach herum zu spinnen. Natürlich verfolgt sie auch narrative Elemente, beginnt Geschichten, die sie wieder verlässt um anderen die Sinnsuche zu überlassen. Die feine und aufwendige handwerkliche Arbeit und sorgfältige auswahl der Strukturen, Farben und Kompositionselemente kontrastiert sie mit völlig chaotischen Stories, die in Wahrheit keine oder viele verschiedene sind.

Gerade Stickerei war früher synonym für weiblichen Hausfleiss, für entzückende – aber auch biedere – Handarbeit, für angepasste, von Vorlagen und Musterbüchern diktierte Kreativität. Vorbild und Vorgabe entschieden über Motive und Farben, die nur durch handwerkliche Geschicklichkeit und saubere Arbeit vervollkommnet werden konnten. Tilleke Schwarz liebt diese handwerkliche Perfektion, die Vielfalt möglicher Stiche und ihrer regionalen Traditionen und nutzt sie doch nur um geradezu anarchistische Zitatensammlungen vor uns auszubreiten, schlimmer als jedes Rebus Rätsel und schöner als jedes Stickmustertuch. Das ist ihre Kunst!

© Schnuppe von Gwinner

High Five Art Gallery
Hoogbraak 5
5111 CS
Baarle-Nassau

Öffnungszeiten: am 1. und 3. Samstag und Sonntag des Monats von 13 bis 17 Uhr geöffnet und nach Vereinbarung, rufen Sie uns an: +31 (0) 6-51 15 94 14