Die Künstlerin Petra Schoenewald stickte Anfang Januar drei Tage lang live im Schaufenster des Westwerks Hamburg – eine Freundin erzählte mir, dass sie mitgestickt hätte, für eine Weile … das Werk ist mit 5 Metern lang genug um Abstand zu halten. Doch inzwischen finden die Mitsticktermine im Verborgenen statt.

„Petra Schoenewalds Idee eines Teppichs spielt mit weiblich besetzten Tätigkeiten, die früher zum Zeitvertreib, zum Warten auf den Liebsten oder um die Frau zu beschäftigen und ans Haus zu fesseln, gern eingesetzt wurden. Sie definiert ihn heute als das Warten auf das Ende von Corona, als die Wiederaufnahme gewohnter Tätigkeiten oder auch als den Genuss der Muße und das Vergessen der Zeit.

Der Teppich erzählt von den Dingen, denen sie sich während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 gewidmet hat: Malkurse per Zoomkonferenz veranstalten, turnen, auf ausgedehnten Wanderungen Vogelstimmen bestimmen und sehr viel Eis essen. Dieser Teppich ist erst der Anfang einer größeren Installation mit einem weiteren Teppich. Themen des zweiten Teppichs: Gesundheit, gutes Essen, Bewegung in der Natur und ihre Wahrnehmung, Einsamkeit und Gemeinsamkeit sowie die Liebe und Sorge umeinander. Die Herstellung des großen Teppichs wird mindestens so lange dauern, wie die Pandemie anhält. Das Projekt versteht Petra Schoenewald als eine Überforderung, wie es auch Covid-19 für uns ist.“ (Pressetext)
In der direkten Beschreibung von Petra Schoenwald wird es doch persönlicher, wie die Bilder es schon vermuten lassen: „Der große Teppich zeigt tatsächlich Motive, die mich durchs Coronajahr beschäftigt haben….ein großes Thema dabei ist aber auch, dass fast zeitgleich mit dem 1. Lockdown mein Mann an Lungenkrebs erkrankte und der Teppich so auch Stationen dieser Krankheit und unserer Versuche damit fertig zu werden zeigt.

Dieses ist mein dritter großer Kreuzstichteppich … es gibt den Ost-West Teppich, der eine Straße in Hamburg und ihren brutalen Schnitt durch die Stadt thematisiert, dieser ist 10 Meter lang …eher konzeptueller … und es gibt den Reeperbahnteppich, 4 Meter lang, der Situationen rund um meine alte Lieblingsheimat in Hamburg zeigt … und auch Familiäres und private Geschichten enthält. Sozusagen subjektive Stickblicke auf meine Vergangenheit und meinen früherern Wohn und Lebensort in Hamburg … ebenso wie beim Coronateppich tauchen persönliche Gefährten darin auf.“

In dieser Art fragmentarischer Bildergeschichte zeigt Stickerei die ganze Kraft und Authentizität textiler Kunst. Sie offenbart auch, wie sehr das vermeintlich Private mit den gesetzten Bedingungen der äusseren Umstände interagiert, wie es sich bedingt und damit jeder Stich gleichzeitig die intime wie auch die allgemeingültige Auseinandersetzung beinhaltet. Die Motive und ihre thematische Einbindung beziehungsweise Gegenüberstellung sind wie aufblitzende Gedanken, symbolische Stellvertreter die sich in alle Richtungen, auch in den Assoziationen des Betrachters, immer neu kontextualisieren. Die Ästhetik der Stickerei, das technisch bedingte Anklingen einer Ornamentik in der Bildsprache, die gewählten Farben und Strukturen geben dem Stickteppich eine eigenwillige Rethorik und eine so sehr persönliche Stimme, die viel mehr beinhaltet als nur einfach zu erzählen. Ich wünsche mir uns alle stickend!
© Schnuppe von Gwinner

