Schon in meinem Blogpost vom 21.Mai berichtete ich von dem Projekt „GRASSI FOR FRIENDS„, das durch die Unterstützung des Freundeskreises des GRASSI Museums für Angewandte Kunst in Leipzig ermöglicht wurde. Wir Erfinder dieses Konzeptes, also der Vorsitzende des Freundeskreises Günther Gromke und ich, Schnuppe von Gwinner, wünschen uns viele Nachahmer, die das nicht zu überschätzende Potenzial aktiver Förder- und Freundeskreise von Museen und anderen Kulturinstitutionen in fruchtbaren Kooperationen zu nutzen wissen.
Den Ausgangspunkt dieses Engagements bildete die Erkenntnis, dass deutsche Fördersysteme – gleich ob Wirtschafts- oder Kulturförderung – die angewandten Künstler mit den Argumenten des „zu künstlerisch orientiert“ /„zu ökonomisch gedacht“ immer zwischen alle Stühle rutschen lassen. Darüber hinaus haben die administrativen Prozesse, um überhaupt in den Genuß von Förderung zu gelangen, für viele Betroffene etwas sehr Entmutigendes. In Deutschland leben und arbeiten fantastische angewandte Künstler, die leider auf den international renommierten Messen und Schauen nur selten vertreten sind. Das wollen wir ändern. Im Laufe von eineinhalb Jahren haben wir jeden Schritt wohl überlegt getan um mt dem Projekt „GRASSI FOR FRIENDS“ ein Beispiel etablieren zu können.
Viele vorausgehende Gespräche waren nötig um schliesslich in einer konstruktiven Kooperation mit dem Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft Sachsen e. V. durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert werden zu können. Die Begeisterung der designierten Künstlerinnen Sarah Pschorn, Kristina Rothe und Elke Sada aus Leipzig, sowie Anke Hennig und Lydia Hirte aus Dresden war entfacht. Sie kamen alle mit nach Paris um persönlich und mit ihren Werken als „GRASSI for FRIENDS“ auf dieser hochkarätigen internationalen Messe für angewandte Kunst aufzutreten. Am Eröffnungstag des Salon Révélations – dem 22. Mai 2019 – wurden sie von einer Delegation der Freunde des GRASSI Museums für Angewandte Kunst begleitet, die von der Messe als VIP eingeladen wurden.
Und? Wie wars?
Es lief grandios in Paris! Der Salon Révélations ist wirklich eine Veranstaltung der Superlative. „Tous Paris“ kam, gefolgt von Gästen aus der ganzen Welt.
Der Stand der GRASSI FOR FRIENDS lag an der zentralen Achse des Geschehens, am internationalen Banquet, und erhielt viel Aufmerksamkeit und Lob. Ein buntes, multikulturelles Publikum sowie Fachleute, Sammler, Galeristen und Kuratoren begeneten uns neugierig und sehr aufgeschlossen. 38 000 Besucher zählte die offizielle Statistik!
Ja, es war meistens Hochbetrieb. Sogar am Samstag den 25.Mai drängten sich die Besucher in allen Gängen – nachdem wir über die autofreie Place de la Concorde und Champs Elysée zum Grand Palais spaziert waren. Alles blieb für die Gelbwesten-Demonstrationen gesperrt, die U-Bahnen hielten nicht mehr an den Innenstadt-Stationen und keine Busse fuhren. Nachmittags berieselte die Kakophonie von Martinshörnern, Trillerpfeifen und starken Regenschauern die Besucherströme und Aussteller unter der hohen Glaskuppel ohne dass sich jemand wirklich beeindruckt zeigte. „Jetzt erst recht“ sagte mir ein fanzösischer Freund,“wir lassen uns nicht erschrecken!“ Chapeau liebe Pariser! Wir haben überhaupt viel über die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Frankreich gelernt, aber die sind hier nicht Thema.
Wir führten viele Gespräche, in deren Zusammenhang nicht nur die Arbeiten der Künstlerinnen sondern auch das GRASSI Museum und die GRASSIMESSE als bedeutender deutscher „Salon“ viel Interesse weckten. Sich mit einem internationalen Publikum auf so lebendige Weise austauschen zu können war sicher die wertvollste Erfahrung für alle Beteiligten. Wir hatten im Vorfeld ca. 200 Galeristen, Kuratoren und Fachverbände über unsere Teilnahme informiert. Viele kamen sowieso, aber viele kamen darauf hin erst recht. Und viele Fachleute, Freunde und Kollegen darüber hinaus. Solch eine Messe ist als News-Börse und zur Kooperationsanbahnung wirklich unschlagbar! Engagiert sachliche Diskussion und/oder empathische Begeisterung im Rahmen einer persöhnlichen Begegnung zu erleben ermutigt und motoviert mehr als jedes „like“ in den sozialen Netzwerken… die man darüber leicht vergißt mit neuen Bildern und Posts zu füttern.
Natürlich haben wir auch einige Objekte verkauft – aber das sollte bei diesem ersten Auftritt in Paris keine vorrangige Rolle spielen, so sehr man das immer glauben oder hoffen möchte. Eine französische Freundin ging auf Erkundungstour und berichtete, dass viele Aussteller über die mangelnde Kaufbereitschaft der Besucher klagten, dass aber zum Beispiel jene Artisans, die als Mitglieder der veranstaltenden „Ateliers d’Art de France“ schon das dritte oder vierte Mal dabei waren, sogar sehr gute Verkäufe verbuchen konnten. An zu wenig Werbung, an mangelndem Publikum, an einem wenig attraktiven Angebot konnte das zurückhaltende Kaufverhalten wirklich nicht liegen – am zu viel ja wohl auch nicht? Die Messe eher als Ort des Dialogs, des Austauschs und der Entdeckung einzuschätzen entspricht wohl mehr der Realität.
Ich könnte mir vorstellen, dass sich echte Kunden mehr die intimere Einkaufsatmosphäre einer thematisch, fachlich, regional oder sonstwie spürbar kuratierten Situation mit sehr deutlich weniger als 450 Anbietern wünschen. Der Salon Révélations sollte also vor allem als ein grandioser Kick-off für viele viele zukünftige Projekte und Kooperationen erkannt werden die im Anschluss, thematisch, fachlich, regional oder sonstwie spürbar kuratiert, der angewandten Kunst – den Handwerkskünsten – auch ein ökonomisches Auskommen ermöglichen. Wir werden also sehr aufmerksam das Nachmessegeschehen beobachten um schliesslich ein positives oder negatives Fazit ziehen zu können.
Auf dem Programm des Salon Révélations stand u.v.a. eine Konferenz, in der vor allem an den ersten beiden Tagen analysierend und durchaus fordernd der Status der Handwerkskünste im EU Zusammenhang debattiert wurde. Im aktuell auszuhandelnden Programm und Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 stellt sich Europa nun der Frage nach den Bedingungen, nach den Optionen und dem Willen zur Erhaltung kulturellen Erbes und des individuellen Savoire faire in einer Welt, die sich in einem tiefgreifenden Wandel befindet. Hochspannend fand ich es, wenigstens am Rande etwas von dieser Debatte mit zu bekommen, die in Deutschland nach meinem Wissen so nicht geführt wird.
In diesem Zusammenhang muss man auch die Aktivitäten des World Crafts Council Europe anlässlich seines 40-jährigen Bestehens sehen. Der WCC hat eine Umfrage unter seinen Mitgliedern durchgeführt, um die aktuellen Themen der Branche zu ermitteln. Die Ergebnisse dieser Umfrage sind der Ursprung des Manifesto Crafting Europe und seines Interventionsplans, die anlässlich der Révélations am 23. Mai 2019 im Grand Palais in Paris vorgestellt wurden. (Ich komme darauf noch mit einem eigenen Blogpsot zurück.)
Auch die Kosequenzen aus der Verdichtung der europäischen Vorschriften für die Verwendung von Rohstoffen mit denen sich viele Handwerksbetriebe wie z.B. Emailleure, Keramiker, Buntglasrestauratoren oder Glasmacher konfrontiert sehen, wurden in einem weiteren Panel diskutiert. Zusätzlich zu den ökonomischen Herausforderungen stellen diese Vorschriften einige Handwerksbranchen auf eine schwere Probe. Wie könnte man dann die Anwendung dieser Normen an die Besonderheiten des Handwerks anpassen?
Ich vermute, ich darf für alle „GRASSI FOR FRIENDS“ Beteiligten sprechen, wenn ich sage, dass es ein großartiges Gefühl war sich für diese fünf Tage als Teil dieser großen internationalen Gemeinschaft zu fühlen. Nicht weniger als 33 Nationalitäten waren vertreten. Überraschend exotisch, farbenfroh, innovativ und bewegend zugleich. Über alle Grenzen hinweg hüten und erneuern Künstler, Männer, Frauen, Jung und Alt mit großer Leidenschaft ein sehr besonderes kulturelles Erbe: einzigartiges Savoire faire, handwerkliches Können und gestalterisches Knowhow. Hier, unter der gewaltigen Kuppel des Grand Palais, der zur Weltausstellung 1900 eröffnet wurde, lud der Salon Révelations dazu ein, sich an einer besonders reichen kulturellen Fülle zu inspirieren.
Als die Präsidentin der „Ateliers d’Art de France“, Aude Tahon, am Sonntag Abend um 19 Uhr über Lautsprecher allen Ausstellern dankte und den 4. Salon Rélévations offiziell für beendet erklärte schallte minutenlanger Applaus durch den Grand Palais – was durchaus eindrucksvoll war. Nach Unzufriedenheit klang es jedenfalls nicht.
Diese Erfahrungen wünschen wir in Zukunft auch den vielen deutschen angewandte Künstlern die, wenn man sich umschaut, im Ausland viel zu sehr abseits der Wahrnehmung stehen. Das Projekt „GRASSI FOR FRIENDS“ möchte dazu ermutigen Partner und Unterstützer zu gewinnen, die vergleichbare Erfahrungen auf internationaler Ebene ermöglichen.
Den „GRASSI for FRIENDS“ wird man auf der GRASSIMESSE vom 25. bis 27.Oktober 2019 im GRASSI Museums für Angewandte Kunst wieder begegnen.
© Schnuppe von Gwinner
