Frechener Keramikpreis 2022: Frechen vom 20.10.2022 bis 26.2.2023

Nora Arrieta, „Geflüster“, 2022, Plastik, Steinzeug, gebaut, glasiert, keramische Fotoprints, mehrfach oxidierend bei bis zu 1240 °C gebrannt, 55 x 120 x 87 cm, gestifteter Preis der Kultur- und Umweltstiftung der Kreissparkasse Köln, Foto: Helge Articus

Der Frechener Keramikpreis ist ein Nachwuchsförderpreis für keramisch arbeitende KünstlerInnen. Er richtet sich an junge KünstlerInnen unter 35 Jahren, die ihre keramische Tätigkeit in Deutschland ausüben. Interessierte hatten die Möglichkeit, sich in folgenden Bereichen der keramischen Kunst zu bewerben: Gefäße, Plastik, Relief/Bild, serielle Keramik, architekturbezogene Keramik und Installation.

50 Jahre Frechener Keramikpreis – das Jubiläum feiert das KERAMION mit der 19. Verleihung dieses Förderpreises für keramisch arbeitende Nachwuchskünstlerinnen und Nachwuchskünstler bis zu einem Alter von 35 Jahren.

Natürlich hat sich in dem halben Jahrhundert seines Bestehens vieles verändert. Auffällig ist die klare Entfernung der Wettbewerbsbeiträge von artistisch glasierten Gefäßen hin zu freien, oft installativen Arbeiten. Mit angepassten Auslobungsbedingungen, inhaltlichen und organisatorischen Veränderungen wurde immer wieder auf sich wandelnde Verhältnisse reagiert. In diesem Sinne fungiert erstmals die Stiftung KERAMION als Organisatorin dieser Veranstaltung und löst damit die bisherige Ausrichterin Frechener Kulturstiftung ab.

Geblieben ist aber über all die Jahre das große Interesse der Zielgruppe als deutliche Bestätigung der Berechtigung oder sogar Notwendigkeit des Frechener Keramikpreises. So gingen für den diesjährigen Wettbewerb erstaunliche 85 Bewerbungen ein. Von ihnen wählte die Vorjury 16 junge Künstlerinnen und Künstler und ein Künstler-Team aus, sich mit Stücken am Wettbewerb um den Frechener Keramikpreis 2022 zu bewerben.

Wie bereits in den Vorjahren zeichnet sich auch der aktuelle Wettbewerb durch ein sehr weites Spektrum der Einreichungen aus: Funktionsgebundene Stücke sind ebenso zu finden wie freie Arbeiten. Die Beschäftigung mit dem keramischen Digitaldruck zweier Teilnehmer belegt, dass auch neuste technische Entwicklungen nicht unberücksichtigt bleiben.

Im September 2022 benannte die fachkundige Jury die Preisträgerinnen und Preisträger. Eine weitere Neuerung: Erstmals erfolgte die Finanzierung der Preise in Höhe von je 2.500 Euro durch Institutionen. Der von der Kultur- und Umweltstiftung der Kreissparkasse Köln gestiftete Preis ging an Nora Arrieta, den von der RheinEnergie ausgelobten Preis erhielt Ayaka Terajima während Atsushi Mannami mit demjenigen von der Stadt Frechen ausgezeichnet wurde. Für einen zusätzlichen mit 2.000 Euro dotierten Sonderpreis, verliehen von Regina und Heiko Hünemeyer, wurde Philsoo Heo ausgewählt. Damit ist der Keramikpreis anlässlich seines 50-jährigen Bestehens mit insgesamt 9.500 Euro dotiert.

Vorjury:
Auswahl WettbewerbsteilnehmerInnen
– Monika Gass, Dipl.-Keramikerin HBK KASSEL, Kunsthistorikerin, Kuratorin,
Neckarsteinach
– Doris Kaiser, Künstlerin, Grefrath
– Angelika Metzger, Galeristin, Johannesberg

Hauptjury:
Benennung PreisträgerInnen
– Vorjurorinnen und
–  Sabine Isensee, Leiterin Bildende Kunst, Stadtmuseum Oldenburg
– Dr. Peter Lodermeyer, Kunsthistoriker, Bonn

Wettbewerbsteilnehmer:innen

Additive Ceramics, Nora Arrieta, Dennis Demand, Lucas Maximilian Frohn, Sarah Heber-Kohlmann, Philsoo Heo, Stefan Holzmair, Elmira Iravanizad, Hannah Kons, Jungwoon Lee, Juliane Mahler, Atsushi Mannami, Jianan Ning, Carolin Ott, Maurice Riegler, Ayaka Terajima, Lennard Wilde.

smartcapture
Gruppenbild zur Preisverleihung im Keramion | Foto: Helge Articus

Die Preisträger 2022

Nora Arrieta (Abb. Titel)
gestifteter Preis der Kultur und Umweltstiftung der Kreissparkasse Köln (2.500 Euro)

Nora Arrieta zeigt „Geflüster“, eine großformatige Arbeit, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt: wuchtiger zwei und dreigeteilter Unterbau, farbenfroh, mit Auslegern ähnlichen Stümpfen, die wie Arme in den Raum ragen. Glasurüberzüge, Kleckser in leuchtenden
Farben – vegetabil, versehen mit scharfem, stacheligem Glasurschmelz, Glasurteichen in Senken und Kehlungen.
Der zweite Blick bringt in der Nahsicht poetische Details: reale, digitale Räume, Farne, Dschungelartiges, Hochhaussilhouetten – dazu Texte, die sich auf unseren Alltag, unser Leben, unser Umfeld 2022 beziehen. Studienaufenthalte in aller Welt haben diese junge Künstlerin zu einer so zeitaktuellen Aussage inspiriert. Sie hat ihr Erlebtes, Gelerntes, ihre Sensibilität, ihr künstlerisches Statement und ihr absolut exzellentes Können auf diesen großen Körper quasi aufgeschmolzen – konserviert für die Nachwelt. Dekor ist Message – zeitlos eingebrannt. Es ist schwer, sich der Faszination eines solchen keramischen Tagebuches zu entziehen. Es ist aber leicht, sich auf die Informationen einzulassen, die sich ein so sensibler Geist mit seiner Hände Werk für uns ausdenkt, übersetzt in Bilder und Puzzleteile, in Haptisches. Hochinteressante keramische Techniken diverser Art machen eine solche Arbeit erst ästhetisch so attraktiv: Hier ist nichts gebrochen, rüde oder halbherzig in Materie umgesetzt. Andererseits ist die Lust am Experiment zu spüren: Gewagtes spielt mit Zufälligem – immer wieder gefasst von Informationen, die uns betreffen: Klima, Müll, Digitales, Leben, Wohnen … Das berührt.
Nachhaltig. Balanciert sind diese Bildwelten, wie die große Plastik selbst zwischen Masse + Materie und narrativer, künstlerischer Leichtigkeit. Jeder und Jede schaut hin, genauer beim zweiten Blick, und dann mit großem Vergnügen!
Auch in den anderen vier Arbeiten von Arrieta ist diese Ausgewogenheit zu spüren: Ein Saurierskelett thront über einem Berg an digitalen Screens, gehalten von weißen Händen. Screenshots von PC und Tablet teilen sich exponierte Plätze mit antiquiert anmutenden
Drucken der Fernsehzeitung, von Tatort und der Heute-Show bis zum Wetterbericht: umgesetzt fast realistisch in feinster Keramik-Fotodrucktechnik. Ein grünlich-nudelig verschmolzener Berg streckt uns QR-Codes entgegen – nachwachsende, uns bedrängende Kürzel einer Welt, die uns verwaltet, Emotionales ins Quadrat zwingt …Narratives – zum Nachdenken schön verpackt – flüstert uns Zeitloses zu. ( Text: Für die Jury Monika Gass)

2022_Frechen_Ayaka_Terajima_088
Ayaka Terajima, „Doki“, 2021 – 2022, Plastik, roter Ton, abgeformt, gebaut, oxidierend bei 1200 °C gebrannt, 62 x 32 x 30 cm, gestifteter Preis der RheinEnergie, Foto: Helge Articus

Ayaka Terajima
gestifteter Preis der RheinEnergie (2.500 Euro)

Ich wähne mich an einem prähistorischen Ort und fühle mich von den unglasierten, gebrannten Keramikplastiken angezogen. Berstend vor Kraft schauen mich die Arbeiten aus Okularen an, blicken in alle Richtungen, ganz selbstverständlich. Dominant stehen sie auf ihren Füßen. Eitel präsentieren sich die wie Kultgegenstände über und über dekorierten Formen mit verschiedensten Mustervariationen. Die Strukturen auf den Kopf gestellter Plastikflaschen, Joghurtbecher, Noppenfolien, gerasterter Plastikböden (alles findet Verwendung) werden eingedrückt in den weichen Ton. Viele reliefartige Applikationen erzählen Geschichten, doch ihr innerstes Geheimnis geben sie mir nicht preis.
Ayaka Terajima ist Japanerin und ihre „Doki“-Serie ist beeinflusst von der reichhaltig geformten Keramik der Jōmon-Zeit (15 000 – 3 000 v. Chr.) in Japan. Bei ihr verwandelt sich die Formensprache unseres global standardisierten Verpackungsmülls in zeitlose archaische Keramikplastiken, jede für sich ein Unikat, nicht reproduzierbar, existierend im Hier und Jetzt, erschaffen aus Mutter Erde. ( Text: Für die Jury Angelika Metzger)

2022_Frechen_Atsushi_Mannami_185
Atsushi Mannami „Die nutzlose Landschaft“, 2021 – 2022, Installation, Steinzeug, gebaut, engobiert und glasiert, oxidierend bei 1250 °C gebrannt, Mixed Media, 220 x 335 x 280 cm (Maße variabel), gestifteter Preis der Stadt Frechen, Foto: Helge Articus

Atsushi Mannami
gestifteter Preis der Stadt Frechen (2.500 Euro)

„Die nutzlose Landschaft“ nennt Atsushi Mannami seine komponentenreiche Installation, die insofern eine radikale Position im Rahmen des Frechener Kunstpreises einnimmt, als keramische Objekte im Gesamtbild dieses Werks – quantitativ gesehen – nur wenig Raum einnehmen. Die Installation besteht vorwiegend aus unterschiedlichsten Fundmaterialien wie Pappe, Holz, Plexiglas und Styropor, die zu einem improvisiert wirkenden, lapidar mit Klebeband zusammengehaltenen Gefüge architektonischer Formen kombiniert werden. Die im Titel suggerierte Nutzlosigkeit des Arrangements lässt sich anhand des Einsatzes der Architekturformen leicht nachvollziehen:
Treppen, die nirgendwohin führen, Säulen, die nichts tragen, Fenster ohne Wandzusammenhang … Mit dieser Ästhetik, die ein wenig an die Arte Povera, aber auch an Notbehausungen erinnert, wie sie etwa nach der Tsunami-Katastrophe von Fukushima erstellt wurden, verweigert sich Mannami bewusst den als autoritär empfundenen Vorgaben perfekter Ausstellungsräume und hält ihnen eine improvisierte, nicht auf Zweckrationalität und Schönheit hin konzipierte „Utopie der sinnlosen Architektur“ entgegen.
An den kardinalen Punkten dieser Installation sind stets kleinformatige Keramiken positioniert, die mit ihren farbigen Glasuren eine unübersehbare malerische Sensibilität verraten. Diese keramischen Elemente, die überwiegend an fragmentierte Architekturelemente erinnern, stechen aufgrund ihrer Materialschönheit aus dem Ensemble heraus, wobei der Künstler aber auch diese Eigenschaft kritisch befragt und dadurch bricht, dass er die Objekte teilweise mit Papier überklebt. Das Papier wird mit der Zeit vergilben, sich verformen oder wieder ablösen. Vergänglichkeit ist ein dezidiertes Thema dieser bemerkenswerten Arbeit vom Atsushi Mannami.
(Text: Für die Jury Dr. Peter Lodermeyer)

2022_Frechen_Philsoo_Heo_331
Philsoo Heo, „Der ziellose Traum“, 2022, Installation, Steinzeug, schwarzer Ton, gebaut, gebrannter Tonstaub, Maße variabel 80 x 300 x 300 cm, Foto: Helge Articus

Philsoo Heo
Sonderpreis von Regina & Heiko Hünemeyer (2.000 Euro)

Düster und archaisch präsentiert sich die vielteilige Installation, die Philsoo Heo am Boden im Untergeschoss des KERAMION ausgebreitet hat. In der Mitte des Raums erhebt sich ein Scheiterhaufen, der sorgsam aus keramischen Nachbildungen von Holzstücken aufgeschichtet
ist, die paradoxerweise schon verbrannt wirken. Umgeben ist diese altarartige Mitte von einer Reihe unterschiedlicher Objekte, von rechteckigen Platten und organisch geformten, an Därme oder Schlangen erinnernden Elementen, die in ihrer Bewegung erstarrt zu sein scheinen. Dazu kommen Objekte, die an verkohlte Fragmente von Baumstämmen erinnern. Das Ganze wird durch Brocken und Staub von gebranntem schwarzen Ton, der über den Boden gestreut ist, miteinander verbunden. Heos Installation macht einen existenziellen, ernsten Eindruck und schafft ein starkes Bild von Endlichkeit, vergehendem Leben, von Prozessen der Erstarrung und Mortifikation. (Text: Dr. Peter Lodermeyer)

Frechener Kulturstiftung
c/o KERAMION
Bonnstraße 12
50226 Frechen

Der Ausstellungskatalog kann für 8,00 Euro im Museumsshop erworben oder per E-Mail – info@keramion.de – bestellt werden