Aus der Konzentration folgt die Fülle: Ein scheinbar überschaubares Repertoire von Rotationskörpern legt den Grundstein für das vielseitige, unaufdringliche doch erhabene Werk von Guido Sengle. Die Begegnung mit seinen Arbeiten ist eine Einladung zum Verweilen und Entdecken. Die Vorstellung von Perfektion zieht den Betrachter in Ihren Bann. So nähert sich das Auge dem Objekt an, wandert die Silhouette entlang, taucht in die Tiefe der Glasur und verliert sich schließlich im Labyrinth des Craquelés. Was zuvor perfekt erschien, vollendet, aber statisch, offenbart sich als lebendig in einem konstanten Zustand des Werdens. Ein fast meditativer Prozess, der den Betrachter wieder mit dem Ringen des Schöpfers verbindet, dem Ringen mit der Umsetzung der Idee, um einen Ausdruck, um Präzisierung der Gestalt.

Viele der Gefäße wurden über Jahre und Jahrzehnte hinweg verändert – durch Einfärben des Craquelés im kohlenstoffreichen Rauchbrand, durch Wiedererwärmen der Gefäße und durch das Aufbringen von Eiswürfeln auf die heiße Glasur, um spezifische Rissmuster zu erzeugen, durch den Einsatz von Säure, um den Glanz der Glasur durch einen satinierten Schimmer zu bereichern, oder in extremen Fällen durch das Abtragen der Glasur mit Hammer und Meißel, um erneut mit der Glasierung zu beginnen. Ein intensiver Schaffensprozess, an dessen Ende nur wenige Gefäße stehen. Somit ist jede einzelne Arbeit eine Manifestation des Bemühens „(etwas) zu werden“, sie sind Zeugnisse einer Könnerschaft die Zeit und Energie als Tribut einfordert. Ein bereitwilliger Tribut von einem Schöpfer, der die Sinnhaftigkeit seines Werkes erfahren hat. In der Begegnung mit dem Auge des Betrachters übermittelt das Werk von Guido Sengle die Erfahrung der Geduld im Schöpferischen und berührt durch die handwerkliche Meisterschaft.
(Text: Kurt Bille, Berlin)
