Edmund de Waal – Lettres à Camondo: Paris vom 07.10.2021 bis 15.05.2022

Edmund de Waal, Stumm, V, Installation, Musée Nissim de Camondo, 2021 MAD, Paris / Christophe Dellière.

„Wo gehöre ich hin? Ich arbeite mit Porzellan, einem migratorischen Material. Es ist von weit her gekommen. Ich fertige Dinge, die leicht brechen. Ich stehe auf und erzähle Geschichten. Ich schreibe, aber jetzt denke ich, wenn ich schreibe, an Palimpseste, das Überschreiben eines Textes durch einen anderen. Ich scheine viel Zeit in Archiven zu verbringen… Ich glaube, ich bin ein Mischling. Ein nichtpraktizierendes Alles. Aber ich weiß, was Hingabe an eine Idee bedeutet. Ich weiß, dass es Wege gibt, aus dem Verstreuten etwas Außerordentliches zu schaffen.“ So denkt und spricht der weltberühmte Keramikkünstler und Schriftsteller Edmund de Waal über sich selbst.

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Edmund de Waal „Camondo“ Eine Familiengeschichte in Briefen | Zsolnay-Verlag 2021

Sein jüngstes Buch  „Camondo. Eine Familiengeschichte in Briefen, übersetzt von Brigitte Hilzensauer,  ist am 27. September im Zsolnay Verlag erschienen und unbedingt lesenswert.

Während des Lockdowns hatte Edmund de Waal begonnen, Briefe zu schreiben an einen Toten, an einen „Freund“: Moïse de Camondo (1860-1935), französischer Bankier und Kunstsammler, der das prunkvolle Stadtpalais in der Pariser Rue de Monceau 63 erbt, in exklusiver Nachbarschaft von einigen Rotschilds, Marcel Proust oder Theodor Herzl. Doch als Camondos Sohn Nissim im Ersten Weltkrieg fällt, verlässt Vater Moïse das Haus, die versehrte Heimat, die auf seine Anweisung hin zum „Museum Nissim de Camondo“ wird – unverändert bis heute, beeindruckendes Zeugnis einer untergegangen Kultur. Das Gebäude ist einzigartig als umfassend erhaltenes Zeugnis der Funktionsweise eines klassischen Stadtpalais. Besonders reizvoll ist, dass neben den prachtvollen Repräsentationsräumen auch die Funktionsräume wie Küche, Wäscherei etc. in ihrem Originalzustand verblieben und besichtigt werden können.

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Ehrenhof des Musée Nissim de Camondo – Edmund de Waal MAD, Paris / Christophe Dellière

Edmund de Waal studierte die Baupläne, saß in den goldenen Salons und las sich durch die penibel sortierten Archive der noblen Familie Camondo. Er selbst spricht von einer „Heimsuchung“: Der britische Keramikkünstler und Sammler hatte den drängenden Impuls, sich mit Camondos Hilfe zu versenken in Überlegungen über Erinnerung, Zeugenschaft, Gedenken an Geliebte, an die Familie. Und über die Leidenschaft des Sammelns.

Nun ist Edmund de Waal  vom 7. Oktober 2021 bis zum 15. Mai 2022 im Nissim de Camondo Museum als Künstler zu Gast. Seine Ausstellung ist als intimer Dialog zwischen seinen Werken  und dem historischen Mobiliar des Herrenhauses konzipierte. In einem sensiblen und kontemplativen Rahmen präsentiert Edmund de Waal eine neue Gruppe von Werken, die Gespräche über die Familie verkörpern und jedem der Exponate einen privilegierten Raum zum Nachdenken über die Erinnerung bieten.

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Edmund de Waal, Stumm, II -IV, Installation, Musée Nissim de Camondo, 2021 MAD, Paris / Christophe Dellière.

Die Besucher werden im Ehrenhof des Museums von einer Reihe von acht Skulpturen aus goldenem Stein, in England bekannt als Hornton-Stein, empfangen. Diese monumentalen, auf Hochglanz polierten Blöcke sind als Einladung zum Sitzen gedacht. Sie sind mit Blei- und Goldelementen verziert, die den Verlust und die Reparatur illustrieren und an die elementare japanische Keramik erinnern, die nach einem Bruch behutsam repariert wird, ähnlich wie beim Kintsugi-Verfahren.

Im Vestibül liegt auf einem langen Tisch einer der Briefe Edmund de Waals an Moïse de Camondo: Er ist mit Schichten aus goldfarbenem Porzellan überschrieben. Von Raum zu Raum entdeckt die Besucher Scherben, Töpfe, Vasen und Worte, die auf Schichten von Porzellan geschrieben, die so dünn und zerbrechlich wie Papier sind und in diskreten und minimalistischen Vitrinen angeordnet wurden. Edmund de Waal zaubert ein raffiniertes und sensibles Universum, das als Antwort auf die Geschichte dieses Erinnerungsortes entstanden ist.

Le Musée Nissim de Camondo

63, rue de Monceau
75008 Paris, Frankreich

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag von 10 Uhr bis 17.30 Uhr
Schließung der Kasse um 16.45 Uhr

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Edmund de Waal | Foto: Tom Jamieson