Heute morgen schielte die Sonne kurz über die Dächer – vor einigen Tagen schüttelte der Wettergott  eine Tüte Puderzucker über’s Land. Achtsamkeit für die kleinen Schönheiten des Tages zu üben ist uns inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Am Fenster lehnend, die handgedrehte Keramiktasse mit den Händen umschlossen, puste ich in den heissen Tee und begrüße einen neuen „Murmeltier-Tag“ in diesen pandemischen Zeiten.  Wenn’s rauh wird da draussen und die Gefahren unübersichtlich, ist die Zeit für „cocooning“ gekommen. Das hatten wir nicht nur vor 20 Jahren auch schon mal.

Heute gab es mal wieder Post von der Messe Frankfurt, so wie neulich von der Messe München – mit den Absagen aller Frühjahrsmessen, auch der intrnationalen Handwerksmesse IHM, auch der Ambiente 2021…. Dennoch, die Trendprognosen für 2021 möchte die Ambiente den Einkäufern und Herstellern – und uns allen – nicht vorenthalten: Ambiente Tends 2021 (auch zum download) recherchiert und kuratiert durch das Stilbüro bora.herke.palmisano.

Ich hab ja Zeit und schau mal ob’s was Neues gibt:

emotional. love of home
Ein Trend, der das Zuhause in den Mittelpunkt rückt und zeigt, wie durch die eigenen vier Wände Sicherheit und Geborgenheit vermittelt wird. Hier schaffen samtig-warme Vintagefarben wie Peach, Blush, verwaschenes Vergissmeinnicht-Blau, Nude und Nektar-Gelb eine vertraute und wohltuende Wohnumgebung und einen Ort, in den man sich gerne für unterschiedlichste Aktivitäten zurückzieht – vom Homeoffice, dem Online-Yogakurs bis hin zum Abendessen in intimer Atmosphäre.

continual. related to nature
„continual. related to nature“ steht ganz im Zeichen alternativer Materialien, die das Zuhause naturnah wirken lassen. Grobe Stoffe, malerische Glasuren oder bewusst unvollkommene Oberflächen geben einen robusten Anschein und sind dennoch handwerklich perfekt umgesetzt. Von einem kräftigen Moos-Ton über erdiges Braun und Grau bis hin zu vegetativen Grüntönen reicht die Palette bei diesem Wohnthema.

renewal. notion of redo
„renewal. notion of redo“ steht für Aufbruchsstimmung: umgestalten, aufwerten, neue Ideen ausprobieren. Die Trendwelt lädt mit DIY-Attitüde und der Inszenierung bekannter Materialien auf eine noch nie zuvor gesehene Art und Weise dazu ein, sich auf neue Perspektiven einzulassen. Die Farbpalette aus dunklem Karmesinrot, leuchtendem Sonnen-Rot, Himmel-Violett, Pink, Orange, frischem Blaualgengrün, Wolkengrau und Ozeanblau macht Lust auf positiven Wandel.

Es scheint mir so, als würde ich eine nolstalgische Zeitreise zurück in meine Ausstellungstätigkeit von 2004 bis 2014 bei craft2eu machen – die Themen und Schlagworte klingen wie meine Ausstellungsthemen damals:  „natürlich“, „domestic affairs“, „upcycling“ … und sogar die Objekte, die die aktuellen Trends zu mehr natürlichen Werkstoffen, handwerklicher Qualität und wertschätzendem Konsumverhalten heute bebildern, kommen mir sehr sehr bekannt vor. Damals füllte ich  bzw. craft2eu die Nische – als Paradiesvogel staunend beäugt und mit einem langsam – aber stetig! – wachsenden Liebhaberkreis.

Heute ist das Kunsthandwerk definitiv im Mainstream angekommen, das ist die gute Nachricht in diesen trüben Zeiten!  Wo man hinschaut und hin hört herrscht Leben an den Werkbänken, Webstühlen und Drehscheiben und der Absatz floriert online und hoffentlich bald auch wieder offline. Sogar die Luxusindustrie, LOEWE mit der spektakulären Verleihung des LOEWE Craft Prize oder die Michelangelo Foundation mit dem Homo Faber Guide, hat sich des Themas auf internationalem Level angenommen. Das inspiriert die gesamte Szene – Handwerkskunst zählt wieder was! Da möchte auch die große Konsumgüterindustrie profitieren, von den emotionalen Werten, von der Suggestion von Kontinuität, Nachhaltigkeit und Qualität. Umso mehr sollten die Akteure der kreativen Szene auf ihre eigene Authentitzität und die Originalität ihrer Objekte achten und diese betonen – ohne saisonales Verfallsdatum – damit sie noch lange und erfolgreich auf der Schaumkrone dieser Mainstream-Welle mittanzen mögen!

© Schnuppe von Gwinner

Als inspirierender Rückblick hier meine Interpretation des „Natürlich“ in einer kleinen Präsentation europäischer Handwerkskünstler für die GRASSIMESSE 2016: