Was die richtige Weihnachtsstimmung sei definiert ja jeder für sich selbst. Zumeist als etwas diffus Heimeliges, von Traditionen und Kindheitserinnerungen geprägt. Oder das völlige Gegenteil dessen. In unserer Familie schlagen sich die Erwartungen an die Aura von Weihnachten eher auf die traditionelle Seite. Das beginnt bei den zu backenden Weihnachtsplätzchen nach überlieferten Rezepten bis hin zur Dekoration, die von allerhand ramponierten Bergmännern, Engeln, Räuchermännchen und einem martialischen, kaninchenfellbärtigen Nussknacker aus den zwanziger Jahren dominiert wird, die in die Familie kamen als die Großmutter meines Mannes für ihre kleinen Kinder Weihnachtsstimmung machte. Im Laufe der Zeit fanden diese Holzfiguren ihre neue Heimat bei uns – übergangsweise – bevor sie an die nächste Generation weiter gereicht werden.

In diesem Jahr 2020 fielen pandemiebedingt die freudigen Rituale zur Aufstellung des hölzernen Advents- und Weihnachtspersonals aus. Es war klar, dass dieses Weihnachten für uns aussergewöhnlicher als alle seine Vorgänger werden würde und meine Sehnsucht nach den entsprechenden Accessoires war sehr verhalten, da sich daran – dieses Mal unerfüllbare – Erwartungen knüpfen. Ein schlichter Kranz aus Tannenzweigen mit einer kleinen roten Kerze schaffte es gerade eben bis auf den Esstisch. Mehr nicht.
Auf der Flucht vor dem nicht enden wollenden C-Thema tauchte ich in diesen dunklen Wochen vor Weihnachten in einige der vielen Bücher, die in großen Stapeln auf meinem Schreibtisch geduldig auf die Entdeckung ihrer Inhalte warten. Darunter auch ein sehr besonders gestaltetes Buch: „ Max Schanz – Spielzeug Gestalten im Erzgebirge“. Es erschien bei Arnoldsche Art Publishers im Herbst 2020 zum 125. Geburtstag von Max Schanz. Seine Entwurfszeichnungen für die Holzfigur eines Schaukelpferdreiters schmücken Cover und Rückseite. Ich zögerte etwas beim Durchblättern, da mir unter den vielen Bildern, Zeichnungen und alten Fotos zahlreiche Bergmänner, Engel, Räuchermännchen und zähnefletschende Nussknacker begegneten. Zu viel Weihnachtsbrimborium?
Schliesslich kriegte ich doch die Kurve und versank geradezu in den Beschreibungen der Lebensgeschichte von Max Schanz der, 1895 in Dresden geboren, 1953 in dem legendären Erzgebirgsort Seiffen gestorben, dortselbst von 1920 bis zu seinem Tod als Lehrer, Gestalter und Direktor der Spielwarenfachschule lebte. Aus unterschiedlichen Perspektiven seiner Wegbegleiter, seiner Familie, seiner Freunde und einiger Kulturhistoriker wird in diesem allumfassenden Buch sein Einfluss auf die Design- und Werkgeschichte im Spielzeugland Erzgebirge während vier politisch sehr bewegter Jahrzehnte – vom späten Kaiserreich, über die Weimarer Republik und die NS-Herrschaft, bis in die frühe DDR – geschildert. Aus dem ersten Weltkrieg kehrte er 1917 verletzt zurück nach Dresden und begann gleich seine Ausbildung, die im Sommer 1919 mit der Staatsprüfung als Zeichenlehrer endete, als der er ab 1920 an der Spielwarenfachschule in Seiffen eingestellt wurde und die er von 1933 bs 1947 als Direktor leitete.
Sein passioniertes Engagement, das die soziale Lage der Hersteller im Blick behielt, leitete das volkstümliche Handwerk der Spielzeugmacher mit Weitsicht in eine zeitgemässe Spielzeugindustrie. Er vermittelte dabei eine moderne Produktästhetik, die in das unmittlebare Umfeld der Werkbundideen einzuordnen ist. Seine Entwürfe sind bis heute in der Spielzeugproduktion des Erzgebirges präsent und stellen ihn in eine Reihe mit Hedwig Bollhagen, Marianne Brandt, Hermann Gretsch, Käthe Kruse, Ernst Mahlau, Wilhelm Wagenfeld.
Materialgerechte und formvollendete Entwürfe entstanden in dieser Zeit zwischen den Weltkriegen, in der Max Schanz gleichzeitig als begnadeter Netzwerker die gesamte Region mit ihrer Vielfalt an Menschen und Möglichkeiten für eine gemeinsame Richtung begeisterte, moderne Rahmenbedingungen für ihren Erfindungsreichtum zu schaffen und die notwendige Marktpräsenz des erzgebirgischen Spielzeugs aus Seiffen zu erreichen.
Dieses wunderbar gestaltetete Buch über den Menschen und Gestalter Max Schanz betrachtet umsichtig alle menschlichen und sozialen Dimensionen seines Lebens, seine Verantwortlichkeit für das kreative und wirtschaftliche Überleben der erzgebirgischen Volkskunst. Auch widrige Umstände und politischen Untiefen werden nicht ausgelassen und tragen zur bewegenden Wahrhaftigkeit seiner Geschichte bei. So erwies sich die Lektüre schliesslich doch als bereichernder Denkanstoß und ermutigte mich die ramponierten Bergmänner, Engel, Räuchermännchen und den martialisch dreinblickenden, kaninchenfellbärtigen Nussknacker doch noch rechtzeitig zum Fest und Jahreswechsel aus der Dunkelheit ihrer Aufbewahrungsschachteln zu erlösen: als Zeit- und Generationen übergreifende Botschafter eines unverwüstlichen, tätigen Optimismus – auch in schwerer Zeit. (© Schnuppe von Gwinner)
Das schöne Buch, inwischen in der 2.Auflage mit neuem Cover, wurde ausgezeichnet:
Hauptpreis des Sächsischen Landespreises für Heimatforschung 2021 vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus in Kooperation mit dem Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V.
‚Schönstes Regionalbuch Deutschlands 2022‘ des Börsenvereins Dtsch. Buchhandels und der Stiftung Buchkunst
Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hg.)
Max Schanz
Spielzeug Gestalten im Erzgebirge
208 Seiten
22,5 x 26,5 cm, 324 Abb., Hardcover
Deutsch
Arnoldsche Art Publisher
ISBN 978-3-89790-617-4