Vor genau sechs Jahren um diese Zeit verbrachten wir wunderschöne Frühlingstage – wie jetzt – mit der Auflösung der Galerie für europäisches Kunsthandwerk am Eppendorfer Weg in Hamburg.

Schweren und leichten Herzens zugleich, nach 10 Jahren leidenschaftlicher Vermittlungsarbeit für feines Kunsthandwerk, für das man Anfang der 2000er Jahre noch kein allzu großes allgemeines Interesse erwarten durfte. Daher der craft2eu-Slogang „craft2eu füllt die Nische“, der sich auch auf die Konzeption des Galerieraumes auswirkte. Die Nischenwand war damals eine viel bewunderte Attraktion und herrliche Bühne für die Inszenierung kunsthandwerklicher Objekte.
Wie auf Schatzsuche reiste ich kreuz und quer durch Europa. Ich besuchte Designer*innen und Kunsthandwerker*innen in ihren Studios und Werkstätten, tauschte mich mit Fachverbänden aus, sah mich aufmerksam an den Design- und Kunsthochschulen um, streifte über kleine und größere Craft-Messen, schaute mir viele wunderbare Ausstellungen an, sammelte Kataloge und surfte durch’s Internet. Renommierte Meister, Stars der europäischen Szene, wunderbare Gestalter und absolute Newcomer – sie alle haben bei craft2eu ausgestellt.
Meine Eroberungen präsentierte ich in ca. 60 sorgfältig inszenierten Themen-Ausstellungen. Ich teilte sie mit den begeisterten Stylisten und Redakteuren der Wohn- und Design-Magazine und erfreute das Hamburger, sowie auch ein erstaunlich internationales Publikum, mit meinen Entdeckungen. Auf einer sorgfältig konzipierten Internetseite spiegelte sich das Geschehen in der Galerie online – und die Umsätze dort wechselten langsam aber stetig auf die Überholspur der stationären Umsätze. Ein Zeichen der Zeit. Auf lange Sicht offenbarte sich zunehmend, dass der große Anspruch und Aufwand, getragen von meinem persönlichen Enthusiasmus für die Sache, immer weniger zu rechtfertigen war. Kompromisslos war das Konzept: „ganz oder garnicht!“ Es ließ keine darüber hinaus gehenden Freiräume zu. Also war am 25.04.2014 Schluss am Eppendofer Weg. Online gibt es craft2eu noch immer!

Unter dem Link https://craft2eu.net/de/lookbook findet man die neun Jahrgänge der craft2eu- Lookbooks, die meine damalige Assistentin Svenja Keune mit geradezu selbstlosem und engagiertem Einsatz zusammen stellte. Sehr vorausschauend, damit wenigstens eine kleine Erinnerung an dieses idealistische Projekt bleibt.
In diesen Tagen des Corona-Shutdowns ergeben sich kontemplative Momente, die Raum für Erinnerungen und Rückblicke lassen. Ich teile sie hier, weil mir klar wird, dass solch eine grenzenlos europäische Initiative, die unbedingt auf ein lebendiges, internationales Netzwerk angewiesen ist, aus heutiger Sicht tatsächlich Geschichte ist. Andererseits sehe ich, wie aktuell die gewählten Themen und Päsentationen, die gezeigten Ideen und Objekte bis heute sind. Zeitlos und inspirierend verweisen sie einzig und allein auf die wunderbare Kreativität und gestalterische Kraft ihrer Autoren.
Ich lade Sie ein mit auf Entdeckungstour zu gehen und wünsche viel Vergnügen!

Die Dokumentation der Ausstellung „schmucke Photographie“ findet man, ebenso wie die von neun weiteren Schauen, im Lookbook 2004-2005:
zur 3. Triennale der Photographie in Hamburg gibt es in allen Museen und Galerien der Hansestadt wunderbare Photoausstellungen. Bei craft2eu rückt die Photographie ins Zentrum der Schmckgestaltung und ist ideeler wie formaler Ausgangspunkt für aufregende Schmuckkreationen. Auf Folie kopiert, mittels Photoätzung auf Metall übertragen. Auch als Dia in Acryl eingeschlossen. Photographien unter reliefiertem Kunstharz oder transparenter Linsenraserfolie werden gebrochen, optisch verzerrt oder zu Wechselbildern. Zerschnittene Photos werden zu neuen, ornamentalen Schmuckformen mit wertvollen und unedlen Materialien kombiniert und zu extravagantem Geschmeide montiert. Die Photographie selbst wird zum schmückenden „Juwel“ und assoziativen Aufhänger, mehr als reines Dokument und extravaganter als harmlose, kleine Liebesgeschichten.

Im Frühjahr 2006 staunten die Besucher über die Ausstellung „upgrade“ – als eine von sieben Schauen die im Lookbook 2006 beschrieben werden:
upgrade … oder wie aus Kirschkernen ein Schmuckstück wird! Plastikflaschen, Dosen, Textilien, Knöpfe und anderes erfahren ihre Metamorphose durch neue Materialien und Zusammenhänge. Es geht nicht um das zweite Leben des Produktes im Recycling. Es geht um sein neues Leben durch ein upgrade! craft2eu zeigt wie Designer in England, Dänemark, Holland und Deutschland Trash in Luxus, Massenhaftes ins Unikat, Nützliches in Überflüssiges? und umgekehrt? verwandeln.

Im Jahr 2007 gab es mehrere echte Publikumsmagneten. „Textile Illusion“ ist einer unter den acht Präsentationen, die im Lookbook 2007 dokumentiert werden:
Illusion? In das vermeintlich weich Wattierte eines Kissens zu greifen und durch die frische Kühle einer Porzellanoberfläche überrascht zu werden. Aus dekorativ bestickten Teetässchen zu nippen und in robustem Spitzen-Imitat nach dem Trinkgeld zu suchen. Die Hand, mit einem silbernen „Brokat“ Fingerring geschmückt, über die samtweichen Falten einer Jacke aus Metallgeweben streichen lassen. Und so fort. Diese Erfahrungen machen wir immer öfter. Nichts ist mehr was es scheint.

Eines der Highlights unter den acht Ausstellungen, die im Lookbook 2008 zu finden sind, war „Fantasia“:
Für diese Präsentation haben wir junge Designer und Kunsthandwerker eingeladen, die aus ihrer asiatischen Heimat zu Ausbildung und Studium nach Europa kamen – und blieben. Sie zeigen beispielhaft wie befruchtend und inspirierend die kulturellen Einflüsse beider Kontinente zusammen wirken können. Die Klarheit der Form, die Strenge technischer Prinzipien und die gestalterische Freiheit verbünden sich im individuellen Statement als interkontinentale Symbiose in der angewandten Kunst und im Design. …. Acht unterschiedliche Statements, die uns Einblick in ein grandioses kulturelles „cross-over“ bescheren.

Auch 2009 war ein bewegtes Jahr mit spannenden Themen in acht Ausstellungen, die man im Lookbook 2009 noch einmal Revue passieren lassen kann, auch den Publikums- und Stylisten-Liebling „Natürlich“
… ist es immer wieder schön an der Natur zu lauschen. Als unerschöpflicher Inspirationsquell nährt sie jene kreativen Geister, die uns dazu verführen Vogelgezwitscher als Ohrschmuck zu tragen. Sich mit Seifenblasen zu schmücken. Dem Libellenflug im Angesicht einer Vase nachzuträumen. Den Garten ins Wohnzimmer zu holen. Ihre Schöpfungen zelebrieren die Natur. Und sie verzaubern ihre schönsten Aspekte in kostbare Objekte für die Ewigkeit.

craf2eu feierte im Herbst 2009 übrigens seinen 5.Geburtstag mit der Ausstellung „showtime“ und behauptet:
Zwischen Understatement und großpurige Prächtigkeit drängelt sich ein neuer Trend! Mit provokanten Übertreibungen rütteln Figuren und Objekte an unseren Vorurteilen. Sie mixen Referenzen an das Altmodische und Kitschige mit hinterlistigem Humor und klischeehafter Niedlichkeit. Sie verquirlen absurde Magie mit wirkungsvoller Emotionalität. „Must-haves“ oder schamloser Kitsch? Urteilen Sie selbst – Spass und Kontroverse sind garantiert.

Als Beispiel überraschender Ausstellungsthemen, die in dem Lookbook 2010 vorgestellt werden, hier der Hinweis auf „Paperficial“ als Analyse von Schein und Sein:
Paperficial ist wie Papier, von hauchzarter Transparenz bis zu flexibler Festigkeit. Es kann wie Papier geschnitten, gefaltet, geknittert und gepresst werden. Es will wie Papier bemalt und bedruckt sein. Papiergestaltung ist das große Thema vieler aktueller Ausstellungen und Kataloge. Davon inspiriert ist der Trend im Design und Kunsthandwerk, der auch viele andere Materialien ganz paperficial macht. Wir haben die erstaunlichsten Beispiele zusammengestellt.

Im Lookbook 2011 werden sieben Ausstellungen dokumentiert, die sich mit verschiedenen Trendthemen befassen, „Patina“ zeigten wir im Herbst:
Patina ist mehr als nur eine ramponierte Farbschicht mit goldenen Flecken oder trendy shabby-chic-look. Als attraktive Oberfläche verströmt sie morbide Eleganz und verleiht Objekten Unikat-Charakter. Ganz besondere Beispiele aus europäischen Studios und Werkstätten haben wir für diese Schau zusammengestellt. „Patina“ titeln wir diese Schau, weil das Besondere der gezeigten Objekte sich vor allem durch ihre interessanten Oberflächen offenbart.

Ein spannendes Ausstellungsjahr wird im Lookbook 2012 präsentiert, unter anderen „Der Mix macht’s“:
Professionelle Stil- und Material-Mixer aus Dänemark, England, Deutschland und den Niederlanden zeigen Unikate und Kleinserien. Die Auswahl der Ideen und Objekte fasziniert durch neue Konzepte im Umgang mit Materialien, Formen und Dekoren. Die Kulturen der Welt bestimmen den Trend. Ihre Formen, Muster und Stile dienen als wohlfeiler Selbstbedienungsladen der kreativen Avantgarde. Je origineller und provokanter die Zitatensammlung, umso größer das Staunen, umso hipper die Moden. Aus Alt mach Neu heißt die Devise! craft2eu hat mal wieder in Europa’s Nischen geschaut:“surfing spirits“ in Stildialogen und mixed Memories, mit amüsantem Ergebnis.

Der letzte Jahrgang, Lookbook 2013 – 2014, schöpft noch einmal aus der Fülle von neun Ausstellungen, unter denen diese eine Besondere war:
Souvenirs beleben den Geist und bewahren das Einzigartige einer Situation, einer persönlichen Erfahrung. Jedes Stück der craft2eu-Kollektion wurde mit schöpferischer Hingabe individuell gefertigt. Ausgewählte europäische Gestalter beschenken uns – übrigens bis heute – durch ihren souveränen Umgang mit Material, Formen und Farben, mit dem Besonderen. Als ein Souvenir an Kreativität und Meisterschaft, dessen Wertschätzung uns im Alltäglichen Inspiration und Freude schenkt.
Text & Photos © Schnuppe von Gwinner