Auf Schatzsuche: ein inspirierender Ausflug nach Wien

Detail: Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures Wes Anderson and Juman Malouf |Kunsthistorisches Museum Wien | Foto © Schnuppe von Gwinner

Das neue Jahr mit einem Paukenschlag beginnen – so der Plan! Wien lockte so sehr – und lockt noch immer !!! – mit zwei Ausstellungen, die ihre Besucher weit über die Tellerränder schauen lassen und museale Ernsthaftigkeit auf eine herausfordernde Probe stellen. Beide Ausstellungen, Spitzmaus Mummy in a Coffin and Other Treasures by Wes Anderson and Juman Malouf im Kunsthistorischen Museum vom 06.11.2018 bis 28.04.2019 und SAGMEISTER & WALSH: Beauty im Museum für Angewandte Kunst vom 24.10.2018 bis 31.03.2019, laufen nun schon so lange, dass sich das Feuilleton ausgiebig darüber auslassen und sogar empören konnte*. Und die Ausstellungen werden noch so lange laufen, dass jeder der es nur irgend ermöglichen kann, sich in den kommenden Wochen noch auf den Weg machen sollte, denn: Museumsbesuche können verdammt viel Spass machen!

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Gemeinsames Motiv??? Detail: Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures | Wes Anderson and Juman Malouf |Kunsthistorisches Museum Wien | Foto © Schnuppe von Gwinner

Nun gehöre ich eher zu der Spezies Mensch, die jedem Museumsbesuch, egal unter welchen Vorzeichen, immer etwas abgewinnen kann. Es handelt sich für mich um ein freiwilliges Reflektieren über Lebenskultur, über Kunst und Geschichte, Tradition und Zeitgenossenschaft, Ideen und Lebensentwürfe Einzelner, Gruppen oder Gesellschaften. Ich persönlich gehe gerne ins Museum und in Ausstellungen weil es mir gefällt mich mit neuen, fremden oder auch ganz vertrauten Aspekten zu beschäftigen. Als Kunsthistorikerin ist mir die Perspektive der Wissenschaft und der Kuratoren keineswegs fremd. Umso großartiger finde ich die Offenheit der o.g. Wiener Museen, sich von aktuell ausserordentlich populären Medienkünstlern auf den Kopf stellen zu lassen. Chapeau! Es ist ja nicht für immer, aber doch gerade so lang um viele Kiesel ins rollen zu bringen, die zusammen möglicherweise stark genug sind um auch andere Museen und Kulturinstitutionen zu inspirieren, dort mutige Bereitschaft zum anders gucken und denken zu wecken. Und damit jede Menge Publikum herbei zu locken!

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Wes Anderson and Juman Malouf

Spitzmaus Mummy in a Coffin and Other Treasures by Wes Anderson and Juman Malouf im Kunsthistorischen Museum vom 06.11.2018 bis 28.04.2019

Wir näherten uns der Sonderausstellung durch den unfassbaren, materiellen wie kreativen Reichtum der weltweit bedeutendsten Kunst- und Wunderkammer, die mit der von Ferdinand II. von Tirol (1529-1595) begonnen Sammlung ihren Anfang nahm.

Neunzehn Säle voller Pracht und Herrlichkeit muss man durchwandern, immer wieder durch bewunderndes Staunen aufgehalten, bis man endlich die Schau „Spitzmaus Mummy in a Coffin and Other Treasures“ erreicht hat. Eine liebevolle Inszenierung von Erstaunlichem – völlig assoziativ und damit fantasievoll alle möglichen Zusammenhänge zitierend. Zum Beispiel geleitet durch die Farbe Grün, das Material Holz, das Thema Verpackung, das Motiv Tiere und andere Aspekte. Selbst der absolute Laie kann sofort einsteigen und mit staunen. Er darf sich einen Reim machen ohne falsch liegen zu können. Denn falsch und richtig gibt es hier nicht!

Jedes einzelne Objekt steht erstmal nur für sich, für den kreativen Geist und seine Hände die es schufen. Erst dann ergeben sich Fragen nach dem individuellen Kontext, die jeder für sich selbst beantworten mag, aus seiner persönlichen Erfahrung… oder durch Nachlesen im Begleitheftchen, in dem die wissenschaftlich fundierten Fakten drin stehen. Der Vorstellungsraum zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist riesig groß!

Der Filmemacher und die Illustratorin wählten circa 400 Objekte aus allen 14 Sammlungen des Museums, darunter vieles was noch nie ausgestellt wurde. Mit ihrer unkonventionellen Zusammenstellung und Anordnung der Exponate hoffen sie ein wenig Einfluss auf unsere Auseinandersetzung mit der Kunst zu nehmen. Beispielsweise wenn es um den Wert eines Dings geht – wer legt den fest? Durch was und warum? Die Entscheidung wird hier ganz dem Betrachter überlassen und lässt die Expertise der Wissenschaft zurück treten. Ein spannendes Experiment – anregend und beflügelnd wenn man die Reaktionen der Besucher richtig liest, die sich, einander wildfremd, auf den Knien liegend über den Schildkrötenreiter – und vieles andere – austauschen.

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Stefan Sagmeister & Jessica Walsh, Porträt, 2013 © John Madere

SAGMEISTER & WALSH: Beauty im Museum für Angewandte Kunst vom 24.10.2018 bis 31.03.2019

Lichtüberrieselt betritt man als Besucher das Museum – ist das schön? Es stimmt ein auf das was kommt: ein multimediales Ereignis, dessen Überraschungen, Hinweise und Denkanstöße in quasi jedem Winkel des Museums warten um dem Besucher zu vermitteln, warum sich Menschen von Schönheit angezogen fühlen, wie sie mit ihr umgehen können und welche positiven Effekte Schönheit haben kann. Anhand von Beispielen aus den Bereichen Grafik, Produktdesign, Architektur und Stadtplanung demonstrieren Sagmeister & Walsh, dass schöne Objekte, Gebäude und Strategien nicht nur mehr Freude machen, sondern tatsächlich besser funktionieren, und dass die Form nicht einfach der Funktion folgt, sondern in vielen Fällen die Funktion ist.

Diese Mischung aus kunterbunter Erlebniswelt, realen und virtuellen Mitmachaktionen, Faktenvermittlung, philosophischem Zitieren und Geschichten erzählen überschüttet den Besucher mit Eindrücken und Denkanstößen. Die Stadt Wien als Austragungsort ist sicher schon deshalb gut gewählt, weil man dort auf dem Gang durch die schöne Stadt mit ihren eindrucksvollen Architekturen quasi auf das Thema eingestimmt wird. Doch es ist natürlich vielschichtiger gemeint und beschäftigt sich mit dem allgemeinen Konsens über das was schön sei ebenso wie mit der individuellen Schönheit, die bekanntermaßen im Auge des Betrachters liegt. Symmetrie findet Mensch immer schön, auch belebte Oberflächen, alles was seinen Sinnen reiche Nahrung gibt –  so sagt die Wissenschaft – und man möchte ihr recht geben.

„Ich glaube nicht, dass Schönheit oberflächlich ist. Vielmehr löst sie in uns fest verankerte emotionale Reaktionen aus. Unser Gehirn setzt Doping frei, wenn wir Schönheit erfahren, ähnlich wie wenn wir joggen, Sex haben oder Schokolade essen“, erklärt Walsh. So bezieht sich die Schau auch auf konkrete Forschungsergebnisse aus der Psychologie – in schönen Umgebungen sinken nicht nur Kriminalitätsraten, sondern kranke Menschen heilen schneller. Man kann sich also nur wünschen, dass Schönheit wieder mehr als ernst zu nehmendes Thema und nicht nur als Strategie behandelt wird. Ich habe mir auf jeden Fall den gewichtigen und schönen Katalog mitgenommen, um der Sache nochmal in aller Ruhe nach zu gehen: es lohnt sich bestimmt!

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Dieser Feuerlöscher wurde von Mitgliedern des Huichol Stammes in Mexiko mit Perlen verziert. Ist er jetzt schön? Und: Muß ein Feúerlöscher schön sein? Detail: SAGMEISTER &WALSH: Beauty, MAK Wien | Foto © Schnuppe von Gwinner

Beide Ausstellungen öffnen die Türen weit! Sie sind eben nicht nur etwas für Connaisseure, für Fachleute und Experten. Sie empfangen jeden Besucher mit offenen Armen und vermitteln Selbständigkeit in der Betrachtung der Dinge. Damit offenbaren sie natürlich auch wie manipulierbar wir sind – durch den Einfluss der Freunde, der Medien, der Werbung. Doch sie regen gleichermaßen an, nach den eigenen Kriterien zu suchen, die uns für oder gegen etwas einnehmen – die uns etwas „SCHÖN“ finden lassen.

MUSEEN

Spitzmaus Mummy in a Coffin and Other Treasures by Wes Anderson and Juman Malouf im Kunsthistorischen Museum Wien, Raum XIX, Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien vom 06.11.2018 bis 28.04.2019 mit umfassenden Begleitprogramm

Öffnungszeiten: Di – So, 10 – 18 Uhr |Do, 10 – 21 Uhr

SAGMEISTER & WALSH: Beauty im Museum für Angewandte Kunst, Stubenring 5, Wien vom 24.10.2018 bis 31.03.2019 mit umfassenden Begleitprogramm

Öffnungszeiten: Di 10:00–22:00 Uhr | Mi–So 10:00–18:00 Uhr |Mo geschlossen

*Zwei SEHR lesenswerte Artikel