Ein inspirierender Anlass in die englische Hauptstadt zu reisen: die COLLECT 2017. Diese 13. Edition der Messe für Sammlerobjekte, ausgerichtet durch den britischen Crafts Council in der Saatchi Gallery London vom 02. bis 06. Februar 2017, beeindruckte wie ihre Vorgänger durch erlesene Klarheit und facettenreiche Vielfalt in hellen, hohen Räumen. Eine tolle Bilderserie entstand während der Eröffnung „Collector’s night“: man kann sich diese Menschen und Objekte auf der Crafts Council Facebookseite anschauen.
Die unterschiedlichen Objekte kamen hier wunderbar zur Geltung, behaupteten sich als Solitaire selbstbewusst in der Nachbarschaft weiterer Solitaire oder verbündeten sich sogar mit diesen zu aussergewöhnlichen Stilleben. Natürlich gab es auch reichlich formale „Kakophonie“. Doch das ist nun einmal so, wenn so viele Individualisten aufeinander treffen. Gut beraten waren jene Gallerien, die sich auf ein Gewerk oder eine Stilrichtung konzentrierten oder einem „Primus inter pares“ die Logenplätze auf ihrem Stand überliessen.

Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang die Präsentation der Sarah Myerscough Gallery, die in einem minimalistischen Setting ausschliesslich die Werke von renommierten Holzkünstlern vorstellte. Das war sehr wohltuend. Jene Stände, die nach dem Motto „viel hilft viel“ eingerichtet waren schreckten mich eher ab – denn zu viel dreidimensionaler Eigensinn führt schnell zur Überforderung. Wie subjektiv meine Einschätzung ist belegt die Tatsache, dass den „schönsten Stand Preis“ genau ein solcher Stand bekam. (Scottisch Gallery)
Glas in bestechender Vielfalt zeigte sich als das Material des Jahres, auch wenn Keramik dennoch unangefochten Spitzenreiter unter den Materialien bleibt. Gemeinsam mit Buntmetallen und Holz befanden sich alle im heimlichen Wettbewerb um die erstaunlichste Oberfläche … zumeist eines Gefässes, denn „das Gefäss“ ist und bleibt das unerschütterliche Hauptthema des Kunsthandwerks, auch wenn die Prämisse des „form follows function“ schon längst keine Allgemeingültigkeit mehr hat. Die Zahl der Künstler, die sich weiter hinaus wagen um ihr Material in bildhauerischer Freiheit, abstrakt oder figurativ, zu inszenieren, ist immer noch in der Minderheit. Großartig wo es gelingt!
Spektakuläre Oberflächen stehen aktuell im Focus des Interesses. Sie sind zumeist inspiriert von organischem Wachstum, aber durchaus auch geometrisch konstruiert. Zutiefst beeindruckend und oft verstörend nahe an akribischer Fleissarbeit aus tausenderlei Schuppen, Röhrchen, Tentakeln montiert – manchen Ergebnissen des 3D-Drucks verblüffend ähnlich. Dennoch scheint ihr Reiz für die Künstler ungebrochen. Gleichzeitig lebt die Lust an der Imitation von gelebten, verbrauchten, verkrusteten und aufbrechenden Schichten und Strukturen, zähem Erstarren überlaufender Materie in sattem Überfluss oder filigraner Tropfnase mit fast zeichnerischer Qualität. Indem ich mich bemühe das zu beschreiben fange ich an zu verstehen, warum das alles so faszinierend sein kann.
Über Grenzen zwischen angewandter Kunst und freier Kunst spricht man derzeit nicht mehr viel. Stattdessen geniesst man die Freizügigkeit eines hemmungslosen „cross overs“ – die sich für manche, insbesondere technisch akribische Handwerkskünstler dann doch als tückische Gratwanderung entpuppt. Die Virtuosität der Ausführung mit Idee und Gestalt in einen selbstverständlich souveränen Einklang zu bringen zeichnet die wirklich hohe angewandte Kunst aus. Da ist es am Ende gleich, ob ein Schmuckstück, ein Stuhl, eine Schale oder ein freies Objekt herauskommt. Es sollte nur diese magische innere Balance haben, die im Betrachter überwältigende Bewunderung auslöst. Da jeder Besucher, Kenner, Sammler mit ganz unterschiedlichen und sehr individuellen Vorgaben auf das Ganze blickt findet jeder schliesslich seine persönlichen Favoriten. Die offizielle Auszeichnung als beste Ausstellerin bekam die britische Keramikerin Claire Curneen – sehr weit weg fühle ich mich von diesem Votum.
Ich selbst war und bin hin- und her gerissen. Der Nachwuchs im Areal der COLLECT OPEN überzeuge mich sehr – ich werde darauf zurück kommen. Hier einige meiner ganz subjektiven Lieblingsstücke:

Zwei Glasfragmente des deutschen Glaskünstlers Jochen Ott bestechen durch ihre aufregende Einfachheit und durch ihre Farbe: tiefes „Gold“, das wie Honig glüht und wie Bernstein schimmert. Jeder Blickwechsel offenbart ein neues Spiel, in der Korrespondenz und Verschmelzung der transparenten Objekte mit ihrer Umgebung. Glasbrocken, mit messerscharfen Kanten und „Bruchflächen“ die sich nach innen wenden, spiegeln, multiplizieren, das Aussen nach drinnen holen … sicher nichts grundsätzlich Innovatives für Objekte aus optischem Glas, aber faszinierend weil sie so viele zauberhafte Impressionen bieten ohne selbst ein technischer Firlefanz zu sein.

Die schlichte Eleganz der satinierten Glasobjekte des in England lebenden Ägypters Ashraf Hanna wird durch das Wechselspiel von konvexen und konkaven Formen bestimmt. Geradezu kalligraphischen Qualität haben die sich überschneidenden, das Objekt sparsam umschreibenden Linien, die vor der farbigen, diffusen Transparenz der Körper zu schweben scheinen. Mit jedem Schritt und Blick der das Objekt umkreist offenbart sich ein neuer Eindruck, eine neue Wahrheit für den Betrachter.

Wie Wolkengewächse schrauben sich die voluminösen Keramikobjekte der Belgierin Anne Marie Laureys dynamisch in den Raum und verbreiten mit ihren samtig matten Oberflächen eine eher textile Anmutung, in der Schwere und Leichtigkeit erstaunliche Synergien entfalten. Die Keramikerin manipuliert auf der Scheibe gedrehte, äusserst dünnwandige Formen von oft beeindruckender Größe hin zu amorphen Abstraktionen, in denen das Gefäss in organischem Wachstum aufgelöst und an die Grenze technischer Möglichkeiten geführt wird. Nachdem ich selbst nicht schlecht staunte betrachtete ich mit größtem Vergnügen das ungläubige Staunen der anderen.
Dem Unkraut, den Grasnarben – der Flora am Wegesrand und in Ruinen – setzt die junge Keramikerin Katie Spragg berührende Denkmäler. Ihre 1:1 Kopien in Porzellan und Keramik wirken unendlich zart und zerbrechlich. Doch ihr Thema ist die Schönheit, die Zähigkeit und das Selbstbewußtsein dieser Spezies, der wir landläufig mit Geringschätzung begegnen. Behutsam hebt sie diese Zauberwerke – Repliken der Natur – auf den Sockel oder in Guckkästen und damit in unsere Wahrnehmung. Total romantisch, ökologisch korrekt, fremd vertraut ziehen diese unsere Blicke auf sich und rühren zutiefst. Das Victoria and Albert Museum kaufte gleich das Objekt ‚Hedgerow‘ und ich entdeckte auf ihrer Homepage meinen Favoriten: „Wildeness“ – Porzellangräser wachsen aus den Ritzen von Ruinen.

Schliesslich muss ich Ihnen noch „La-la-la“ (in bood) vorstellen – ein verdammt aktueller, cooler Hund, schwungvoll, lässig und dynamisch von der mexikanischen Künstlerin und Designerin Fernanda Cortes modelliert. Ihre Figuren vereinen Freude UND Schrecken. Sie sind immer Wesen die sich zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit bewegen, Spassvögel und Angstmacher – traumhaft von ihrer Schöpferin auf den Punkt gebracht!
Wer war noch auf der COLLECT und nennt seinen Favoriten?