Buchkunst, Teil 2 : Leipziger Buchmesse 17. bis 20.03.2016

Marktplatz Druckgraphik Leipziger Buchmesse 2016

Auf dem „Marktplatz Druckgraphik“ benannten Areal der Buchmesse drängen sich dicht an dicht die unglaublichsten Gestalter, Illustratoren, Druckgraphiker – Altruisten allesamt – deren Werke zu entdecken, zu bewundern oder auch nicht, einerseits das Herz hüpfen, andererseits den Kopf schütteln lässt. Sie scheinen allesamt sooooo weit entfernt von der Debatte um eine omnipräsente Gefährdung durch die globale Landnahmen der Digitalisierung – und gehen herrlich sinnlich, haptisch, bunt, vielfältig ihren Inspirationen und Interpretationen ebendieser – analogen – Welt nach. Sie widmen Ihre kreative Aufmerksamkeit traditioneller und moderner Poesie, der Flora und Fauna und all den fantasievollen Spaziergängen, die sie in eine Reihe stellen mit allen gegangenen, gegenwärtigen und kommenden  Gestaltern – Digitalisierung hin oder her. Und wenn man sich auch einmal die Zeit nimmt zu beobachten mit welchem Vergnügen und mit welcher Lust das Publikum sich auf all diese Angebote einlässt!!! Nun, auf der CeBIT würde man das Publikum ebenso beschreiben können, nur das die Leute andere sind als die, die auf die Leipziger Buchmesse gehen. Verstanden!

„aufräumen & abschliessen“ nennt Jule Claudia Mahn eines ihrer Buchkunstwerke aus dem Jahr 2012. Die Texte verfasste sie selbst, die Herstellung auch: Photopolymerklischee, Holzschnitt, Buchdruck auf Büttenpapier. Halbpergamentbroschur mit offener Heftung. Mappe. 33 × 22 cm. 38 Seite, Auflage von 14 Exemplaren. Leipzig/Röderhof, 2012. Das klingt mindestens so eindrucksvol wie es ist! Drum wurde es auch ausgezeichnet mit dem Preis »Ereignis Druckgraphik 5 > Zeitgenössische Intentionen in der Druckgraphik« 2013.

Jule Claudia Mahn entdeckte den Ort der verlassenen Gaststätte »Gambrinus« am Rande des Nordharzes nach Jahren des Leerstandes: „Für drei Monate wird er mich in seinen Bann ziehen. In den Morgenstunden beobachte ich die lichtdurchfluteten Räume, unter Gespinsten und eingewachsenen Pflanzen finde ich Hinweise auf einstige Geselligkeit und Arbeit — ein Ort des menschlichen Rückzugs. 
Ich beginne die Fundstücke neu zu ordnen, sie werden der Stoff für meine Geschichte.“ Der Grad der Abstraktion der „Illustrationen“ zu dieser Geschichte ist herausfordernd. Subtile Holzdrucke vom Ahornstock, dessen feine Maserung für die Binnenstruktur der Flächen verantworlich ist, deren Farbverläufe sich nur aus einem bestimmten Farbzustand der Walzen so delikat ergeben, die Situation der Motive auf dem Blatt, in Korrespondenz zu Textzeilen und / oder Textblock, die Komposition der graphischen und illustrativen Elemente jeder Seite, gerahmt, gefasst vom Einbandstreifen … und ich habe jetzt noch nicht über die Farbgebung oder inhaltliche Korrespondenzen oder …. gesprochen. Akribie, äusserste Disziplin, Zeit, Perfektion sind die Assoziationen die mir spontan durch den Kopf schiessen. Jule Claudia Mahn erzählt mir gleichzeitig  von ihrer Faszination, vom wandernden Licht, von den weiten Blicken aus den Fenstern, vom Geruch, von der Morbidität des Ortes, liebevoll geradezu, voller Poesie. Welche Tiefe hat solch ein Buchkunst-Werk, was für eine Vielschichtigkeit!

Verwandte Objekte nennt sie ihre Werke, die alle eine absolute Makellosikeit der Erscheinung charakterisiert. Jedes Buch fokussiert einen Blick, thematisiert eine Aufmerksamkeit in einer sehr eigenwilligen Mischung aus Poesie und Akkuratesse.

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Wenige Meter weiter „begegnete“ mir Hans Christian Andersen in fünf farbigen Kassetten In diesem Projekt haben die Verleger Marlies und Thomas Müth fünf Märchen des Dänen von fünf Künstlern mit fünf Bildern illustrieren lassen: „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ mit Farbholzschnitte in bis zu 10 Druckgängen geschnitten und gedruckt von Frank Eißner. Franziska Neubert übernahm „Das Feuerzeug“, ebenfalls in Farbholzschnitten. Petra Schuppenhauer realisierte mehrfarbige Illustrationen zu „Kleinen Meerjungfrau in der Technik des Reduktionsholzschnittes. Bodo W.Klös illustrierte mit humorvollen Radierungen „Die Prinzessin auf der Erbse“ und Susanne Smajic radierte wunderbar dramatisch-ironisch „Des Kaiser’s neue Kleider. Die Grafiken sind einzeln signiert und nummeriert in einer Auflage von 12 Exemplaren gedruckt. Die dazu gehörigen Texthefte sind in Leinen gebunden und in die Kassette eingelassen. Auch das Buchkunst par Excellence, wenn auch in einem ganz anderen Geist erzählend, interpretierend, illustrierend.

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Und damit könnte man wieder auf die Metamorphosen des Künstlerbuches zurück kommen … übrigens zur Zeit im Museum der bildenden Künst Leipzig eine fantastische Ausstellung:

Anselm Kiefer: Die Welt – Ein Buch! Monumentale Poesie, genial morbid!

„2008 erhält Anselm Kiefer den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die ihm verliehene Urkunde endet mit dem Satz: „Er hat das Buch selbst, die Form des Buches, zu einem entscheidenden Ausdrucksträger gemacht. Gegen den Defätismus, der Buch und Lesen eine Zukunft abzusprechen wagt, erscheinen seine monumentalen Folianten aus Blei als Schutzschilde.“ Und Kiefer beginnt seine Rede in der Paulskirche: „Ich denke in Bildern. Dabei helfen mir Gedichte. Sie sind wie Bojen im Meer. Ich schwimme zu ihnen, von einer zur anderen; dazwischen, ohne sie, bin ich verloren.“

Das sind Dimensionen, die nicht nur durch ihr Format beeindrucken!

(© Schnuppe von Gwinner)