Was für ein Auftakt! Die erste „Ausstellungseröffnung“ nach dem Shutdown könnte kaum spannender sein. Aus dem Kunsthaus Graz kommt jetzt eine ‚halbe Ausstellung‘ in die Galerie für zeitgenössische Kunst nach Leipzig, die ‚andere Hälfte‘ im Herbst in die Kestner Gesellschaft nach Hannover.

Zur Presseführung von Kunst_Handwerk stellen die beiden Kuratorinnen, Barbara Steiner, Direktorin des Kunsthaus Graz und Franciska Zólyom, Direktorin der GfzK Leipzig, ihr Konzept vor: Sie fragen, wie heute ein fruchtbarer Dialog zwischen Kunst und Handwerk aussehen könnte und rücken beide in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang.
„Kategorisierungen, Definitionen und Grenzen können helfen, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden, doch sie führen oft auch zu Ausgrenzungen, Spaltungen und Hierarchisierungen. Die Kunstgeschichte ist voll davon, mehr oder weniger stark ausgeprägt, versteckt oder sichtbar bis heute nachwirkend: Tradition und Moderne, Kunst und Handwerk, freie und angewandte Kunst, „High Art World“ und „Low Art World“, europäische und außereuropäische Kunst.“

Auch diese Ausstellung setzt zunächst bei einer klassischen Grenzziehung an. „Der Titel deutet eine Beziehung von Kunst und Handwerk an, doch die beiden Begriffe sind voneinander getrennt, im Sinne eines Innehaltens oder auch als ein ins Stottern geratenes Verhältnis zweier Bereiche, die ihr Zueinander immer wieder neu ausloten müssen.“ Die Ausstellung versucht zwischen zeitgenössischer Kunst, Handwerk und neuen Technologien zu vermitteln. „Sie zeichnet Kulturtransfers über nationale Grenzen hinweg nach, erkundet Zwischenbereiche, Übergangszonen, lässt aber auch undurchsichtige Räume zu. Die Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als wesentlicher Bestandteil materieller Kultur, kultureller Identität und Gemeinschaft wird dabei mit sozialen sowie ökonomischen Verhältnissen und Produktionslogiken in einer globalisierten Welt zusammen gedacht.“

Dieser Ansatz, der natürlich maßgeblich durch die Auswahl der agierenden Künstler geprägt wird, stellt vor allem das Klischee von Handwerk, das Solide, das Dienende, das Traditionelle, das Folkloristische aber auch das Dilettantische an den Ausgangspunkt der Betrachtung. In den letzten Jahren hat ja das Interesse zeitgenössischer Künstler*innen – und übrigens auch Designer*innen – an Material, an kunst-handwerklichen Verfahren, am Experiment mit Material und Techniken auffällig zugenommen.
Ihre – und die populäre – Perspektive auf das Kunsthandwerk ganz allgemein kennt nur dieses Bild überkommener Werte und Solidität, mit dem z.B. Unternehmen wie „Manufactum“ so erfolgreich werben und Geschäfte machen. Sie beinhaltet vormodernes, tradiertes und lokales Wissen, Materialien und Verfahren und ermöglicht damit überhaupt die Lesbarkeit der Kunstwerke für den Betrachter. „Nicht abschottend, sondern öffnend“ wie die Ausstellungsmacherinnen betonen, „hin zu anderen Kulturen, zur modernen und zeitgenössischen Kunst, zu aktuellen Diskursen und zu digitalen Entwicklungen.“

Den unterschiedlichen künstlerischen Positionen in dieser Ausstellung zu folgen ist ein sehr bereicherndes Unterfangen. „Kultur wird hier als Fluss von vielfältigen, synchron und diachron gespeisten und miteinander verknüpften Einflüssen und Elementen verstanden, als ein Prozess, in dem sich lokale Formen des Wissens und globaler Wissenstransfer verschränken. Die Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als ein wesentlicher Bestandteil materieller Kultur und kultureller Identität und vor allem das Gemeinschaft stiftende Potenzial von kunsthandwerklichen Traditionen wird mit sozialen und ökonomischen Verhältnissen in einer globalisierten Welt zusammengedacht. Mit diesem Ansatz fordern Künstler*innen auch – quasi als Nebeneffekt – gegenwärtige politische Instrumentalisierungen von Heimat, Volk, Volkskunst und Tradition heraus. Auffassungen von kohärenten, in sich geschlossenen Kulturen und einzigartigen Identitäten kommen dadurch buchstäblich ins Rutschen.“ („…“Zitate Katalog)

Aus der freien Kunst kommend erscheint dieses Vorgehen legitim, inspirierend und erfrischend neu. Das Publikum ist aufmerksam erfreut. Das Feuilleton ebenso.
Aus der angewandten Kunst kommend hat diese Lesart etwas Befremdliches. Vertraut mit den intellektuellen und konzeptionellen Ansätzen – nicht aller aber vieler – sogenannter angewandter Künstler fragt man sich, warum diesen jene so wünschenswerte Aufmerksamkeit selbst heute – bei allgemein gewachsenem Interesse – verwehrt bleibt. Das Dogma des materialverliebten und funktionsorientierten Kunsthandwerkers hat Pfahlwurzeln – was sollte gerade er Wesentliches mehr zu sagen haben als ein freier Künstler, der aus den vollen Allgemeinplätzen schöpft und damit womöglich mehr Resonanz beim Publikum generieren kann?

Ich wünschte den Freien unter den angewandten Künstlern auch einmal diese wohlwollende Bühne. Diesen wirklich unverstellten und vorbehaltlosen Blick, der sie aus dem Kontext einschlägiger Messen, Museen und Galerien entlässt, die ihre aktuelle Stimme nur als authentischen Ausdruck materieller Kultur und kultureller Identität klingen lässt. Ich wünschte ihnen den Diskurs mit der freien Kunst auf Augenhöhe, die faire Gelegenheit ihre inhaltlich substanziellen Beiträge zu den sozialen, ökologischen und ökonomischen Themen in unserer globalisierten Welt zu positionieren. Das wäre nicht nur mutig sondern das wäre dann wirklich „nicht abschottend, sondern öffnend“ wie die Ausstellungsmacherinnen es so sehr betonen.
Text © Schnuppe von Gwinner | Katalog
Künstler*innen
Azra Akšamija, Plamen Dejanoff, Olaf Holzapfel, Antje Majewski / Olivier Guesselé-Garai, Jorge Pardo, Slavs and Tatars, Haegue Yang, Johannes Schweiger
kuratiert von
Barbara Steiner und Franciska Zólyom
In Kooperation mit dem Kunsthaus Graz und der Kestnergesellschaft Hannover.
Übrigens: Das gelungene aber doch sehr ungewöhnliche Ausstellungsdesign besorgten Oliver Klimpel und Till Sperrle – modern temperament, Berlin – ebenso wie die Buchgestaltung.
GfZK – Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig
Karl–Tauchnitz-Straße 9–11
D-04107 Leipzig
Öffnungszeiten: Di – Fr: 14–19 h | Sa – So: 12–18 h
