Stillleben – dieser etwas anachronistisch anmutende Gattungsbegriff für künstlerische Darstellungen regloser (eben stiller) Alltagsgegenstände trifft sowohl auf die Kompositionen von Judith Püschel als auch auf die Inszenierungen von Antje Scharfe zu. Grund genug, die keramischen Arbeiten beider Künstlerinnen in einer gleichnamigen Ausstellung im KERAMION gegenüberzustellen.
Ausgehend vom Hintergrundmotiv entwickelte sich das Stillleben ab dem späten 16. Jahrhundert zur eigenständigen Kunstgattung mit einer großen Themenvielfalt. Speziell in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts wird durch die Darstellung arrangierter kostbarer Gegenstände auf Reichtum und Macht verwiesen, gleichzeitig durch eine symbolische Aufladung mit Vanitasmotiven aber auch auf deren Vergänglichkeit ebenso wie auf die menschliche Sterblichkeit. Entfernt sich die Kunst des 19. Jahrhunderts immer mehr von einer realistischen Abbildung der Wirklichkeit, verändern sich auch die Fragestellungen des Stilllebens mit zunehmender Abstraktion. Eine neue Dimension erfährt die Gattung im frühen 20. Jahrhundert mit dem Einsatz vorgefundener Gegenstände (Objets trouvés) bei den Dadaisten und später mit den Readymades von Marcel Duchamp oder der Objektkunst der Pop Art: Stillleben werden nun auch dreidimensional.
In dieser Tradition stehen Judith Püschel und Antje Scharfe mit ihren Kunstwerken im frühen 21. Jahrhundert, wenn sie sich der plastischen Gestaltung von Alltagsgegenständen und deren Inszenierungen hauptsächlich mit keramischen Materialien widmen. Und dass sie beide als ehemalige Schülerinnen der großartigen Künstlerin Gertraud Möhwald jeweils ihren originären künstlerischen Weg entwickelt haben, zeugt von der Qualität ihrer Auseinandersetzungen mit der Objektwelt und deren Verbildlichung.

Ein Kaffeeautomat, ein Messerblock, eine Aufschnittmaschine oder ein Sicherungskasten – all diese Gegenstände aus dem häuslichen Umfeld finden bei Judith Püschel höchste Beachtung und werden in der Rakutechnik verewigt. Nicht als realistische Kopien, sondern als formal und farblich ausgesprochen eigenwillige Erscheinungen mit erzählenden Oberflächendekors und vielsagenden Zusätzen.

Weist die Künstlerin gerade mit diesen Individualisten auf die Austauschbarkeit von industriell gefertigten Konsumgütern der heutigen Massenproduktion hin? Man weiß es nicht, aber spätestens die Betrachtung der „Trophäe des Organjägers“ macht deutlich, dass sie sich mit Veränderungen bis hin zur – menschlichen –Vergänglichkeit beschäftigt. Die Kette mit allerlei Nierenformen und duftenden Vanillestangen erinnert recht ungewöhnlich und symbolfrei an das der historischen Stillleben-Gattung inhärente Vanitas-Thema. Auch die Arbeit „Pflegestufen“, eine Komposition aus keramischer Sprühflasche mit Behälter für Reinigungsmittel und überdimensionierten Ohrstäbchen, greift den Alterungsprozess auf.
Leicht lässt sich jedoch Judith Püschel nicht festlegen. Das macht rasch ein Blick auf die Titel weiterer Arbeiten klar: „Zahnmonstranz“,“Ostkreuz“,“Häschen in der Schule“ oder „“Wolfsblut“. Pfiffige Wortspiele und Doppeldeutigkeiten, teilweise gesteigert bis ins Skurrile, locken die Rezipienten auf verschiedene Fährten der Entschlüsselung. Was zunächst humorvoll daherkommen mag, ist meist eingebettet in eine ernste gesellschaftliche Dimension.
So ist etwa der altmodische, technisch überholte Volksempfänger, ein im Nationalsozialismus als wichtiges Propagandainstrument entwickeltes Radio, seit der künstlerischen Verwendung von Nancy Reddin Kienholz und Edward Kienholz in den 1970er Jahren auch in der Kunst längst zum Sinnbild für mediale Instrumentalisierung geworden. Mit der fast fröhlichen Erscheinung ihres „Volksempfängers“ greift Judith Püschel in Zeiten zunehmender Medialisierung diesen Aspekt auf und erweitert allein durch das Wortspiel des Titels die Arbeit um eine besonders aktuelle Bedeutungsebene, auf der es darum geht, Menschen mit fremden Wurzeln in Europa zu empfangen und willkommen zu heißen.

Antje Scharfes Stillleben finden sich als verschiedene Werkgruppen wieder, nahezu alle Schwarz-Weiß-dominiert. Direkten Bezug auf die Quodlibet-Malerei etwa eines Cornelis Norbertus Gysbrechts (1630 – 1683) nimmt die Künstlerin mit ihrer Wandarbeit „Trompe l´œil“ von 2019. Nicht nur der Titel weist auf diese realistischen Gegenstandsdarstellungen aus dem 17. Jahrhundert, die den Eindruck existierender Objekte vorspiegeln möchten. Auch die Thematik, Motivauswahl und Komposition zitieren spielerisch diese Inspirationsquellen. Allerdings überträgt sie die gesamte Darstellung in keramische Materialien, also ihre ganz persönliche Augentäuschung.
Von großer Leichtigkeit gekennzeichnet ist die Gruppe der „Still-leben-Gefäße“, deren Gefäßsilhouetten aus Knochenporzellan hintereinander in Paraffinblöcken gestaffelt sind. Geometrische Musterungen oder skizzenhaft locker aufgetragene Zeichnungen verleihen den planen Gefäßillusionen Individualität. Trotz dieses Spiels mit der räumlichen Ausdehnung ist die Anordnung der Flächen im Raum klar gegliedert. Diese verschwindet geradezu im Nebulösen, wenn die Künstlerin bei ihren Lichtkästen die Transluzidität der Gefäßprotagonisten nutzt und die Objekte in mehreren Ebenen hintereinander arrangiert.

Als eine weitere Werkgruppe lassen sich die Assemblagen mit historischen Ofenkacheln zusammenfassen. Der Raum ihrer vertieften Rückseiten dient als Rahmen oder Bühne für Inszenierungen aus weiteren Objets trouvés: Hier werden Porzellanfigürchen ihrem ursprünglichem Kontext entnommen und in Beziehung gesetzt zu eigenen filigranen Zeichnungen aus Porzellanschlicker oder zu Gefäßskizzen auf hauchdünnen Porzellanplatten. Gerade diese Kachel-Kästchen beherbergen mit ihrem Sammelsurium einen Geschichtenfundus, der die BetrachterInnen anregen möchte zu fantastischen Reisen in die eigene Fantasie.
Eine Werkgruppe aus dem Jahre 2018 zeigt eine bisher unbekannte Seite der Künstlerin: Die Zusammenstellungen aus ehemaligen Anagama-Ofensteinen, versehen mit schwer erkennbaren eingebrannten Gefäßzeichnungen, erinnern an die dunkel-zurückhaltende Farbigkeit mancher niederländischer Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts. Fast nicht erkennbar versinken die Gefäßumrisse in den Hintergrund.
Der kurze Parforceritt durch Stillleben-Welt von Judith Püschel Antje Scharfe kann das Spektrum ihrer Kunst nur andeuten. Begeisterung erzeugen ihre assoziationsreichen Zusammenstellungen, ihre ästhetischen Zeichnungen auf Porzellan und ihr gekonnter Materialeinsatz allemal. (Text: Gudrun Schmidt-Esters M.A. Museumsleiterin KERAMION)
Zur Ausstellung ist zu jeder Künstlerin ein Katalog erschienen.
KERAMION
Bonnstraße 12
50226 Frechen
Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag & Sonntag: 10.00 – 17.00 Uhr , Samstag: 14.00 – 17.00 Uhr