Himmelstürmer sind jene Idealisten, die scheinbar Unmögliches erreichen möchten. Auch die Künstlerin Ute Beck könnte man dazu zählen. Schon 2012 erhielt sie den Baden-Württembergischen Staatspreis für ihre Keramikobjekte „Dreifüssler“, deren Aussehen von urzeitlichen Meeresbewohnern inspiriert scheint und gleichzeitig die dekorativen und geheimnisvollen Attribute von Deckeldosen im Allgemeinen zitiert.
Zehn Jahre später, 2022, trifft es wieder das Werk von Ute Beck. Dieses Mal werden ihre „Zwölf Apostel“ mit dem Baden-Württembergischen Staatspreis ausgezeichnet. Zwölf hohe, gebaute Gefäßfiguren aus schamottiertem, vergoldetem oder platiniertem Steinzeug, deren Präsenz grandiose Wirkung entfaltet: „Jedes Stück ein Unikat und dennoch in vergleichbarer Handschrift. Gefäße mit Charakter, in der die Künstlerin kulturhistorische Inhalte ihrer Kindheit in Oberschwaben aufgreift. Mit sprechenden Titeln, die zur Auseinandersetzung anregen: Schrei, Sinneswandel, Sputnik, Perlmutt, Tiara, Muse, Notre Dame, Grace, Himmelsstürmer, Drohne, Glazial, Trunkenheit. Die Serie spielt mit der Opulenz, dem Überfluss und der Dekadenz des barocken Lebensstils und fasziniert und irritiert gleichermaßen.“ konstatiert die Jury.
Auch eine Solo-Ausstellung in der städtischen Galerie im Prediger in Schwäbisch Gmünd ist Teil des Preises.
Auf dem Weg von den Dreifüsslern zu den Himmelsstürmern gab es auch noch die Gittergefäße, die nach meinem Verständnis sehr wichtig in der Chronologie des Schaffens von Ute Beck sind. In diesen Objekten vernachlässigte die Künstlerin das Dekorative, Kleinteilige zu Gunsten einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Raum, mit Volumen, mit Transparenz. In der linearen Umschreibung von Formen, die sich im bewegten Miteinander mit Licht und Schatten in Beziehung setzen, entwickelt Ute Beck ein gutes Gespür für den Dialog mit Räumlichkeit, den sie inzwischen so kraftvoll und überzeugend gestaltet. Für den Ausstellungsraum in Schwäbisch Gmünd wählt Ute Beck folgerichtig die sehr bewusste Inszenierung ihrer Himmelstürmer als Teil einer Installation, die nichts dem Zufall überlässt und ihre Idee klar unterstützt.

Das Sakrale der städtischen Galerie im Prediger, deren Ursprung eine Mitte des 14. Jahrhunderts errichtete Klosterkirche der Dominikaner ist, interessiert die Künstlerin. Hier inszeniert sie ihre Apostel und Nothelfer auf kardinal- und purpurroten Podestflächen, die Farben höchster kirchlicher Macht zitierend. Auf ihnen scheinen die Objekte im Raum zu schweben. Arrangiert in einem spannungsvollen Beziehungsnetz, das sich aus dem Perspektivwechsel der sich im Raum bewegenden BetrachterInnen immer wieder anders darstellt. Eine Installation, ein Theaterstück, eine Familienaufstellung … Raum, Objekte, Menschen tragen gleichberechtigt zur gesamten Choreographie bei. Die Betrachtenden werden zu Erlebenden.
Im Laufe der vergangenen Jahren begegnet uns Ute Beck als souveräne Bildhauerin. Ihre Keramikgestalten zitieren einerseits archaische Vasenformen, deren Hals oder Hälse, Schultern und Körper jedoch gleichzeitig die Charakteristika menschlicher Haltungen suggerieren. Ihre bewegten, lüsternen Oberflächenstrukturen nehmen Licht, Farbe und Umgebung reflektierend in das Werk auf und erfinden es aus jeder veränderten Situation heraus neu. Ute Beck gelingt innerhalb ihrer selbst formulierten Regeln ein unfassbarer Variantenreichtum. Indem sie sich in Form und Wirkung subtil an menschlichen Dimensionen orientiert ermöglicht sie den einfühlsamen Dialog der Figuren mit ihrem Umfeld.

Einer Sternstunde verdanken die 14 Nothelfer-Keramiken ihre Entstehung. Sie haben in der Predella des Kleinpötzschauer Altares im GRASSI Museum Leipzig Platz gefunden und wurden anlässlich der GRASSIMESSE 2022 mit dem Grassipreis der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet. Trotz des Altersunterschieds von über 520 Jahren verschmelzen Retabel und Keramiken zu einer ästhetischen Einheit. Die Farbtöne sowie der Glanz der Glasuren reagieren auf die Altarfassung. Die Wölbungen und Kanten in den Gefäßwänden lassen an den Faltenwurf der ursprünglich dort platzierten Holzfiguren denken. Und nicht zuletzt wecken die langestreckten Formen und fließenden Umrisse Assoziationen an gotisches Dekor.
Idealerweise trifft das Werk von Ute Beck auf BetrachterInnen, deren kulturgeschichtliche Prägung eine abendländisch Religiöse ist, die ihren „Zwölf Aposteln“ und „Vierzehn Nothelfern“ wissend begegnen. Traditionell die einen als Verkünder des Glaubens, die anderen als Vorbilder des Glaubens und als Helfer in der Not erkennend. Früher hatten Apostel und Nothelfer menschliche Gesichter, idealisiert, demütig, verzückt, anteilnehmend, freundlich … Vertrauen erweckend. Heute rütteln Zeitgeist und Zweifel nicht nur an den Überlieferungen und Überzeugungen. Nichts ist mehr gewiß, jeder glaubt was er glaubt. Die ruhige, kraftvolle Präsenz der Becks’schen Himmelstürmer reflektiert diese aktuelle Situation, in der der Glaube durch die Imagination und Interpretation moderner Zeitgenossen zur Debatte gestellt wird. Sie begegnen uns. In markanter Pose, aufrecht, prächtig und üppig. Mit irrlichternden Oberflächen, geschnitten, geschnitzt, gestapelt, modelliert, kantig, geformt, übersäht. Mit Narben, Tränen, Brüsten, Wölbungen. Konvex, konkav organisch, gewachsen. Unterschiedlichste Charaktere, gegenwärtig und plastisch, im Wechsel zwischen Figürlichkeit und Abstraktion.
Labor im Chor
Galerie und Forum für Angewandte Kunst
Johannisplatz 3, Eingang Bocksgasse
73525 Schwäbisch Gmünd
Öffnungszeiten: Di – Fr 14 – 17 Uhr | Sa + So 11 – 17 Uhr

