Der Hessische Staatspreis für das Deutsche Kunsthandwerk wird an Kunsthandwerker*innen vergeben, die sich mit ihren selbst entworfenen Arbeiten durch handwerklich und künstlerisch herausragende Leistungen auszeichnen. Ziel des Staatspreises ist es, einen Anreiz für besonders kreative gestalterische Leistungen des deutschen Kunsthandwerks zu setzen.
Im Jahr 1951 wurde der Hessische Staatspreis für das Deutsche Kunsthandwerk vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn ins Leben gerufen. Er wurde in diesem Jahr zum 70. Mal vergeben. Als Preisgeld standen 2022 insgesamt 8.500 Euro zur Verfügung. Der 1. Preis ist mit 3.500 Euro dotiert, der 2. mit 2.500 Euro und der 3. Preis mit 2.000 Euro. Der 2. Preis wurde 2022 wurde in diesem Jahrgeteilt. Der Förderpreis ist mit 500 Euro ausgestattet.
110 Bewerbungen wurden 2022 zum Wettbewerb zugelassen und insgesamt vier Preisträger*innen sowie eine Förderpreisträgerin in einem digitalen Juryverfahren ausgewählt.
Die Jury
Carolin Friedländer, Referatsleiterin Handwerk, Mittelstand, Handel, Wirtschaftsrecht, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen
Dr. Sabine Wilp, Präsidentin des Bundesverbandes Kunsthandwerk
Monika Gass, Ausstellungskuratorin, ehemals Leiterindes Keramikmuseums Westerwald, Höhr-Grenzhausen
Prof. Petra Kellner, ehemals Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main, Fachbereich Design
Petra Bittl, Keramikerin, Hessische Staatspreisträgerin des Jahres 2021
Die PreisträgerInnen wurden am Abend des 19. Juli 2022 in der Hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden bei einer feierlichen Preisübergabe geehrt.

1.Preis: Christiane Englsberger, Hüte und Kopfschmuck
Es sind Hüte und Kopfschmuck vom Allerfeinsten, die Christiane Englsberger seit 2011 unter dem Label Soy Como Soy in ihrem eigenen Atelier in Rotthalmünster herstellt. In allen ihren Objekten zeigt sich hohe Handwerkskunst, die Emotionen erzeugt.Exzellente Verarbeitung, Sensibilität im Um- gang mit den Materialien und ungewöhnliche Formensprache zeichnen ihren Kopfschmuck aus. Die zeitgenössischen Headpieces von Christiane Englsberger regen die Sinne an und entführen einen aus dem Alltag. Ihre Arbeiten wurden bereits 2014 mit dem Bayerischen Staatspreis für das gestaltende Handwerk ausgezeichnet.
Zum Wettbewerb für den Hessischen Staatspreis 2022 reichte Christiane Engslperger ihre Serie „Formen der Natur“ ein. Sie rufen Assoziationen an das Märchen vom Rumpelstilzchen hervor, in dem Stroh zu Gold gesponnen wurde. Für diese Serie hat sie die fast vergessene Schweizer Strohflechtkunst wiederentdeckt, bei der Strohhalme in Streifen geschnitten und zu filigranen Blättern und Blüten geformt werden. Die Inspiration dazu holte sie sich vom überreichen Formenschatz der Natur und vom Wachstum der Pflanzen, die sich scheinbar zufällig und chaotisch und dann doch wieder überraschend symmetrisch präsentieren. Durch die reduzierte Farbigkeit entstanden ungewöhnlich stimmige Kopfbedeckungen, romantisch, fröhlich, märchenhaft, filigran, exquisit und nachhaltig. (Text S.Wilp, leicht gekürzt)

2. Preis: Dick Lion, Lichtgestaltung, Keramik
Seit 1986 arbeitet der 1956 in den Niederlandengeborene Designer Dick Lion im Westerwald. Neben der Umsetzung eigener Entwürfe arbeitete er für die keramische Industrie, plante und führte Projekte zeitgenössischer Künstler aus und war viele Jahre Dozent für Keramikdesign an der Hochschule in Arnheim.
Seine Serien von Lichtskulpturen aus Bone China entstanden 2013 und wurden seitdem ständig weiterentwickelt. Sie sind in vielerlei Hinsicht faszinierend: Im nichtbeleuchteten Zustand wirkt das matte, nicht glasierte Porzellan wie Papier, das in höchst präziser Origamitechnik zu schwebenden weißen Kristallen gefaltet wurde. Im Zusammenspiel mit Licht entfalten die Leuchten ihre Transluzenz,. Die unterschiedliche Schichtdicke des hauchdünn gegossenen Materials wird sichtbar: Die kugelförmigen Objekte sind an den präzisen, dickeren Kanten dunkler, während sie an ihren dünnsten Stellen nahezu durchscheinend sind, ein poetisches Zusammenspiel von hell leuchtenden Elementen mit dunkleren Facetten entsteht.
Inspiration für die Lampenschirme waren Mineralien, Pollen und Kristalle. Die Entwürfe entstanden im 3D-Zeichenprogramm, wurden mittels digitaler Produktionstechniken in Modelle umgesetzt, die dann im klassischen Porzellanguss in Gipsformen seriell vervielfältigt werden konnten. Die übrigen Lampenteile sind schlicht und funktionell gestaltet und wurden passend für jedes Modell hergestellt.
Die Qualität von Dick Lions Arbeiten besteht in der optimalenNutzung aktueller Entwurfs- und Herstellungstechniken, gepaart mit handwerklichen Methoden, präziser Materialkenntnis und gestalterischem Können. Wir gratulieren Dick Lion herzlich. (Text P.Bittl, leicht gekürzt)

2.Preis: Rike Scholle, Glasgestaltung
Rike Scholle hat ihre Ausbildung zur Glasmacherin an der Glasfachschule Zwiesel absolviert. Seit 2003 ist sie freischaffend tätig, seit 2005 in einer eigenen Werkstatt in Haardorf/Osterhofen. Hei- ßes Glas ist ihr bevorzugter Werkstoff, großvolumige Lüster ihre bevorzugten Objekte. Sie bläst und formt am Glasofen unzählige, individuelle Einzelteile, die sie anschließend zu organischen Gebilden arrangiert. Dafür wurde sie mehrfach ausgezeichnet,unter anderem 2015 mit dem Eunique Design Award.
Meistens folgt Scholle bei ihrem Schaffensprozess einem Bild im Kopf, das sie durch Zeichnungen konkretisiert und an das sie sich über viele Versuche am Ofen herantastet. Am Ende dieses Prozesses stehen Leuchtobjekte, die sie als funktionaleKunst bezeichnet, eine Glasskulptur, die frei im Raum schwebt und gleichzeitig Licht spendet. Jedes Stück ist ein Unikat, inspiriert von den Formen der Natur, mit sprechenden Titeln versehen, kleinen Botschaften, die der Glaskünstlerin am Herzen liegen.
Für den hessischen Staatspreis hat Rike Scholle zwei Arbeiten eingereicht. BOOM: ein Lüster, der wie ein Feuerwerk in alle Richtungen des Himmels weist, dynamisch und in der Bewegung eingefroren funkelt er wie ein strahlender Stern, und DEW, der an eine wildwuchernde, im tiefsten Dschungel beheimatete Pflanzen erinnert. Lichtskulpturen, die Energie und Dynamik vermitteln und eine positive Stimmung erzeugen. (Text S.Wilp)

3. Preis: Christian Masche, Holzgestaltung
Auf den ersten Blick schon faszinierend, beim zweiten Hinschauen zum Verlieben schön: Die Schreibgeräte, nein – diese Kunstwerke von Christian Masche, sind absolut außergewöhnlich: dezent changierend zwischen Moderne und Patina, zwischen Gerät und Schmuckstück. Haptisch, elegant, wertig und maßgeschneidert für Hand und die Lust am Schreiben sprechen sie von den guten alten Zeiten ebenso wie vom Luxus unserer Tage und der Sehnsucht nach dem „Wahren“, „Guten“ …
Christian Masche lebt und arbeitet in Letsch inmitten eines dünn besiedelten Landstrichs an der Grenze zu Polen. Geboren 1971 zeigt seine Vita einen facettierten Ausbildungsgang, stringent, wenn gleich breit aufgestellt. Als gelernter Tischler, gelernter Restaurator, mit der Lehre als Bau-und Möbeltischler nahm er Goldschmiedeunterricht, machte Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, leistete Zivildienst und studierte Baubiologie. Masche hat Seminare zum „Bau eines Grundofens, zum Thema japanischer Lacke und Terrakotta“ besucht, war beim „Ersten Grünholz- und Wippdrechslertreffen“ in Deutschland und vieles mehr.
Gebrauchsdesign und Objekte mit immer neuen Materialien und Techniken werden in seinem Atelier gefertigt. Drechseln und Silber schmieden, Gold und andere Metalle, Hölzer, organische Materialien, Edelsteine und feinste antike Textilien wie diese edlen Kimonoseiden für die Hüllen seiner Schreibgeräte. Sie addieren sich stilvoll schützend zu den wundervoll in der Hand liegenden Unikaten. Jedes Stück eine stimmige Komposition: das Harte kann glatt oder mattseidig sein, das warme Holzige fügt sich zum Edelstein, nimmt mit dem Funkeln die zarten, polierten Metalloberflächen auf. Die schwere Goldfeder verspricht, dass das Schreiben mit diesem Werkzeug alles andere als alltäglich – eher reine Freude ist.
Die zum Hessischen Staatspreis eingereichten Werke von Christian Masche zeigen einmal mehr das Potenzial des vielfältig gebildeten und trainierten Kunsthandwerkers, der seine Kenntnis der Materie virtuos nutzt, um seiner Idee, seiner Inspiration Raum zu schaffen. Die Lust am Neuen, die Freude am präzisen Schaffen, die Umsetzung eines Werkstücks durch die Hand des Erfahrenen, der seine Materialen gekonnt kombiniert – das alles fügt sich.
Elegant präsentiert in Ausstellungen z. B. bei Robbe & Berking in Flensburg oder der Grassimesse in Leipzig – unübersehbar ist die absolute ästhetische Qualität dieser Unikate! Verdient folgt jetzt der Hessische StaatspreisChapeau, Christian Masche! (Text: Monika Gass – leicht gekürzt)

Förderpreis: Lotte Schlör, Porzellandesign
Lotte Schlör entschied sich 2015 dafür, ihre Ausbildung zur Porzellan-Manufakturmalerin an der renommierten Münchner Porzellanmanufaktur Nymphenburg durch ein Bachelor-Studium an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle/Saale im Fachbereich Produktdesign mit dem Schwerpunkt Keramik- und Glasdesign um neue Dimensionen zu erweitern. Eine wichtige ergänzende Erfahrung in diesem Kontext war auch ein Auslandssemester in Japan. Lotte Schloer erhielt mehrere Stipendien und nahm bereits er folgreich an renommierten Wettbewerben und Ausstellungen teil. Seit 2021 studiert sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, um dort ihren Master-Abschluss zu machen.
Eine der drei eingereichten Arbeiten für den Hessischen Staats- preis ist ihre 2020 entstandene Bachelor-Arbeit, die von der Kunsthochschule mit dem 1. Platz des „Giebichenstein Design Preis“ in der Kategorie „Interessantestes Experiment“ ausgezeichnet wurde. In ihrer künstlerisch-gestalterischen Arbeit im Spannungsfeld von Design-Kunst und Handwerk erforscht und erweitert sie Grenzen und Potential des Unikats. Ihre hohe Kompetenz sowohl im traditionellen Bereich als auch in den neuen Technologien ist Basis experimenteller Prozesse, die ganz neue Möglichkeiten der Formgenerierung eröffnen.
Die eingereichte Arbeit M3: Machine –Mass – Mold steht exemplarisch für diese Arbeitsweise. Experimente mit einer selbstentwickelten Druckgussmaschine ermöglichen ihr in jedem Prozessschritt gestalterische Eingriffe in Formprozesse. Mit der drehbaren Gipsform, in der in beiden Teilen der Form ein Muster eingefräst ist, entstehen durch Drehung der Hälften unendliche Variationen eines Ursprungsmusters. DieForm schafft industriell ein Unikat. Die beiden weiteren eingereichten, aktuellen Arbeiten „Twist“ und „Moon“ zeigen in unterschiedlichen Verfahren hergestellte Glasobjekte, die ebenfalls ihren prozessbetont systematischen und gestalterisch prägnanten Ansatz sehr gut widerspiegeln.
Mit der Vergabe des Förderpreises des Hessischen Kunsthandwerks an Lotte Schlör wird eine virtuose Grenzgängerin zwischen Design-Kunst und Handwerk ausgezeichnet, die in ihren Projekten experimentierfreudig und auf konzeptionell sehr hohem Niveau neue Wege für Werkstoffe mit sehr großer Tradition öffnet. (Text: Prof. Petra Kellner)
Die Arbeiten der PreisträgerInnen aus diesem Jahr 2022 werden zusammen mit den PreisträgerInnen aus dem Jahr 2021, deren Werke bisher nicht gezeigt worden sind, vom 12. August bis zum 30. September 2022 in der Handwerksform Kassel ausgestellt werden.
Handwerksform Kassel
Scheidemannplatz 2
34117 Kassel
