Die Sommeredition der IHM / Handwerk & Design München 8./9. Juli 2022: eine Nachlese

SCHMUCK IHM 2022 - Blick in die Virtrine mit Ringen von Petra Zimmermann | Foto: SvGwinner

Hatte München extra die sommerlichen Temperaturen in diesen Tagen etwas heruntergeregelt, damit sich die Besucher der Internationalen Handwerksmesse München (IHM) wenigstens ein bisschen „märzlich“ fühlen könnten? Nach zwei Jahren Corona-verordneter Abstinenz wurde die mutige Entscheidung für die Sommeredition der IHM durch die Sehnsucht der Veranstalter und der Branche nach dem persönlichen Dialog in Krisenzeiten bestimmt. Doch die Messe, tatsächlich auf nur vier Hallen zusammengeschnurrt, die teilweise nur sehr luftig bepielt wurden, offenbarte dann doch eher die Unsicherheiten der allgemeinen Krisenstimmung.

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BKV-Stand IHM 2022 | Foto: SvGwinner

Das Thema Handwerk & Design, präsentiert in Halle B5 statt Halle B1, suggerierte dagegen mit seinen gewohnten – seit 2 Jahren so schmerzlich vermissten – Highlights der Sonderschauen TALENTE, EXEMPLA und SCHMUCK sowie FRAME – Parade der internationalen Schmuck-Galerien – und hochkarätigen Präsentationen des BKV inmitten eines Chores vielfältiger und ansprechender Aussteller aus dem Kunsthandwerk, und begleitet von den lautstarken Aktivitäten auf dem zentralen Catwalk, unerschütterlichen Optimismus. Lediglich die MEISTER DER MODERNE wurden in ihrem Jubiläumsjahr kurzfristig auf einen herbstlichen Ausstellungstermin in der Galerie Handwerk vertagt.

Der Bummel durch die Halle, vorbei an all den hingebungsvoll inszenierten Kreationen und Ständen, tat einfach gut. In vielen Gesprächen mit den ausstellenden Künstlern und Galeristen blitzten, je nach Persönlichkeit, natürlich die Sorgen auf – doch für diesen Moment auch Dankbarkeit und Freude, da sein zu können, Kollegen und Kunden zu treffen (man beachte die Reihenfolge) und sich persönlich wiederzusehen und austauschen zu können. Wir alle wissen nicht, was die aktuellen Krisen dieser Welt uns bringen werden: vermutlich nichts Gutes. Doch hier, in diesem kreativen Epizentrum der Halle B5,  herrschte für einige Tage Freude und Lust am inspirierenden Geist der Handwerkskünste.

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TALENTE IHM 2022 – Sabina Dragusanu, Halsschmuck, upycelter Kunststoff, gehäkelt | Foto: SvGwinner

Als große Trends allgegenwärtig, vor allem auf der TALENTE und der Präsentation des BKV Nachwuchspreises, waren die Entwicklung, Erforschung und Bearbeitung ungewöhnlicher, neuartiger Materialien. Neue Technologien, neue Methoden, die Analyse traditioneller Praktiken und Materialien, spannender Prozesse, Konzepte und Formvorstellungen – viele Türen in eine neue Welt innovativer handwerklicher und gestalterischer Möglichkeiten werden gerade geöffnet.

Die Auswahl der diesjährigen TALENTE-Preisträger dokumentiert dies eindrucksvoll:

>TALENTE 2022 PreisträgerInnen

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SCHMUCK IHM 2022 – Blick in die Virtrine mit Schmuckanhängern von Robert Baines | Foto: SvGwinner

Wunderbar strukturiert und wohlüberlegt in der Auswahl ihrer Exponate zeigte sich auch die SCHMUCK, kuratiert von der weltläufigen Schmuckkünstlerin Helen Britton. Sie ersetzte das in früheren Jahren oft gesehene Spektrum persönlicher Vorlieben, der ewigen Wiederholungen des „Who is Who“ des Autorenschmuckes, durch einen faszinierenden Parcours zeitgenössischer, wirklich internationaler Schmuckkunst der auch die Positionen der Kunstschaffenden der First Nations mit einbezog. Eine grandiose Auswahl filigraner Schmuckschöpfungen des australischen Schmuckkünstler Robert Baines, feierte diesen als „Klassiker“ der diesjährigen Schmuckschau. „Seine aus linearen Elementen räumlich aufgebauten, verwirrend detaillierten und vielschichtigen Arbeiten stecken voller literarischer, mythologischer Anspielungen

> SCHMUCK

Herzliche Glückwünsche gehen an die Gewinner des renommierten Herbert-Hofmann-Preises 2022:

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EXEMPLA IHM 2022: Robert Race, toymaker | Foto: SvGwinner

Endlich konnte auch das 50. Jubiläum der EXEMPLA gefeiert werden. Sie ist die größte der drei von der Handwerkskammer für München und Oberbayern organisierten Sonderschauen. Sie begeistert mit „Lebenden Werkstätten“, die neben neuesten Entwicklungen auch ein „Best-of“ bisheriger Messen zeigte: Aussteller und Themenbereiche, die in den vergangenen Jahrzehnten beim Publikum besonders große Erfolge feierten, waren auf der EXEMPLA 2022 mit weiterentwickelten Produkten zu erleben.

> EXEMPLA

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Becher verschiedener Künstler der Galerie Rosemarie Jäger anlässlich der FRAME/ IHM 2022 | Foto: SvGwinner

Das Ausstellungsformat FRAME präsentierte auch in diesem Jahr sechs maßgebliche internationale Schmuck-Galerien aus aller Welt. Darunter die einzige deutsche Galerie von Rosemarie Jäger als souveräne Repräsentanz klassischer Positionen und außergewöhnlicher Konzepte, mit dem Fokus auf zeitgenössischen Schmuck und Edelmetalle. Vertrauend auf die Innovationskraft klassischer Handwerks- und Schmiedekunst, die in ihrer Präzision und Kraft der Komposition demütig werden lässt, präsentierte Rosemarie Jäger eine Kollektion geschmiedeter Becher unterschiedlicher AutorInnen sowie eine Parade der jüngsten Novitäten aus den Ateliers renommierter Silberschmiede, darunter Juliane Schölß, Rudolf Bott, Beate Leonards – langjährige Künstler der Galerie, die mit ihren Werken immer wieder atemberaubende neue Kategorien einer stillen, erlesenen Schönheit formulieren.

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Schlegelschmuck, Vera Siemund, Halskette & Anhänger | Foto: Vera Siemund

Ausserhalb der Messehallen, im Herzen und an der Peripherie Münchens hatten sich circa 5o Satelliten-Ausstellungen zur SCHMUCK, ihren temporären Domizilen eingerichtet, teilweise mit Porgrammen, die seit zwei Jahren auf ihre Realisierungen gewartet haben. Ich gebe zu, dass ich nur wenig gesehen habe.  Die wuselige aber eben auch treibende Kraft der internationalen Schmuck-Kunst-Pilgerschwärme fehlte mir vielleicht irgendwie zur Motivation, die weiten Distanzen zwischen den einzelnen Desitinationen inspiriert zurückzulegen. Beglückt von der Rafinesse der Papierschmuckstücke der legendären Nel Linssen in der Galerie Maurerund ratlos den „Karneval der Sinne“ der Klasse für Schmuck & Gerät an der AdBK Nürnberg, Susa Mackert hinter mir lassend … entdeckte ich noch „Don’t forget to dance“ bei schlegelschmuck – geplant vor zwei Jahren als „Don’t forget to die“. Mit eigens dazu angefertigten Schmuckobjekten der renommierten Schmuckautorinnen Alexandra Bahlmann, Jantje Fleischhut, Dorothea Förster, Svenja John, Sabine Klarner, Christina LangesKaren Pontoppidan, Katja Schlegel, Vera Siemund und Petra Zimmermann geriet diese Präsentation diverser Schmuckstücke und Conversation Pieces in bekannten Handschriften keineswegs zum Totentanz, sondern zur facettenreichen Inspiration unter einer glitzernden Diskokugel.

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Adda Campendonk: Hahn Ziege, Eber um 1912, Stickerei nach einem Entwurf von Franz Marc | Foto: SvGwinner

Soll ich hier noch erwähnen, dass ich der Verlockung des Lenbach-Hauses nicht widerstehen konnte? Die neue Hängung des „Blauer Reiter- Gruppendynamik“  wurde schon am 23.März 2022 eröffnet – hatte also schon viel zu lange auf mich gewartet. Viele Themen, die im Kreis der künstlerischen Avantgarde des „Blauen Reiter vor mehr als hundert Jahren verhandelt wurden sind noch immer aktuell. Die Vision von einer Gleichberechtigung der Kunst aller Völker und Zeiten war wegweisend und hat auch heute (siehe die aktuelle Dokumenta jenseits der Antisemitismusdebatte) nichts von ihrem Anspruch verloren. In der neuen Hängung des Lenbach-Hauses werden die Verbindungen zwischen bayerischer und russischer Volks­kunst, japanischen Holzschnitten, Kinderzeichnungen, zeitgenössischer Musik sowie den im Almanach abgebildeten Werken aus Bali, Gabun, Ozeanien, Sri Lanka, Mexiko und Ägypten nachvollzogen. Durch den Dialog bedeutender Leihgaben und den vertrauten Sammlungsbildern eröffnen sich neue Perspektiven auf das Selbst­ver­ständnis des „Blauen Reiter„.

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Ein Hoch auf Olga Zobel Biro zum 30jährigen Galerie-Jubiläum 2022! Foto: SvGwinner

Schliesslich der Höhepunkt! Olga Zobel Biró hatte zur Feier Ihres 30jährigen Galerie Biro Jubiläums in den Garten der Villa Stuck eingeladen – Freunde, Weggefährten, die Amigos der Galerie – alle liessen die Gläser klingen, herrliche Geschichten und gemeinsame Erlebnisse kreisen. Im Zentrum das strahlende Lachen, die helle Freude und das empathische Herz von Olga Zobel Biró ganz in ihrem Element. Noch am Vormittag hatte sie eines ihrer genialen Ausstellungskonzepte lanciert: im Muschelsaal des Augustiner Gaststätte eine lange Tafel reserviert um dort unter dem Titel „PLAY with Karl (Fritsch), PRAY with Robert (Baines), PRINT with Gerd (Rothmann), PAY with Olga“ Schmuck in die Wirtschaft zu bringen. Bei Bier und Weißwürschtl fanden die in Hosentaschen und Plastiktüten importierten Schätze viele Bewunderer. Auch darauf, und auf all‘ die vielen anderen Überraschungen und unvergesslichen Erlebnisse der vergangenen 30 Jahre mit Olga wurde angestoßen!

© Schnuppe von Gwinner