SCHMUCK – die Neue Sammlung – Danner Stiftung: eine Buchbesprechung

Hee Eun Kim Halsschmuck | 2014 Kette: Kupferlegierung, Halsschmuck: Kunststoff, 3D-druck, verchromt | Die Neue Sammlung – The Design Museum Foto: Die Neue Sammlung (Alexander Laurenzo)

Der Blick aus meinem Fenster ist völlig in Ordnung, aber zumeist unspektakulär. Passanten gehen am Kanal entlang. Kinder schmeissen Steinchen hinein. Nachmittags leuchten die Altbaufassaden der gegenüberliegenden Häuser in der Sonne. Sofern sie scheint. Ab und zu fliegt ein Reiher mit schwerem Flügelschlag zwischen Himmel, Mauern und Wasserlauf. Hin. Und nachher wieder zurück. Richtung Zoo, zur Seehundfütterung. Da gibt es Heringe anstatt der Goldfische im Teich. Im Park, wo auch sein Baum steht.

In diesen Tagen des Rückzugs suche ich mir andere Fenster. Im hohen Stapel zu rezensierender Bücher warten lauter neue Einblicke und Ausblicke. Und wenn der abge“arbeitet“ ist geht es an die gut gefüllten Bücherregale. Jedes Buch als Fenster in eine andere, spannende Welt!

9783897905856Obenauf liegt ein Quartformat in violettem Leinen: „SCHMUCK – Die Neue Sammlung – Danner Stiftung“ – die erste vollständige Publikation des Autorenschmuck der in der Münchner Pinakothek der Moderne zusammengeführten Sammlungen der Danner Stiftung und der Neuen Sammlung – The Design Museum. Nichts an und in diesem fast 600 Seiten starken Band wurde dem Zufall überlassen. Idee, Konzept und Text verantwortet Dr. Petra Hölscher – Konservatorin an der Neuen Sammlung. Staatliches Museum für angewandte Kunst. Design in der Pinakothek der Moderne München ebenso wie die Redaktion und die augenscheinlich wunderbare Kooperation mit den vielen an diesem Werk beteligten Akteuren. Und mit dem Graphiker Frederik Linke.

Schon die Farbe Violett ist mit Bedacht gewählt. Als Farbe des Geistes und der Spiritualität öffnen seine Schwingungen uns für verborgene Dimensionen des Lebens. Und so schlägt man dieses schwere Zauberbuch erwartungsvoll auf und wird gleich von dem schwarz-weiß Foto einer unüberschaubaren Menschenmenge empfangen. Einem Wimmelbild von der Eröffnung der Danner Rotunde 2004. Wer intensiver oder –  wie ich –  peripher an dem Eigenleben der Schmuck-Szene Anteil nimmt, deren Epizentrum München seit Jahrzehnten ist, erwischt sich sofort beim suchen bekannter Physiognomien zwischen den millimeterkleinen Gesichtern. Es lohnt sich! Ach, und alle noch so jung…

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Blick in die Danner-Rotunde 2020. Kuratiert von Mikiko Minewaki, Alexander Blank und Hans Stofer. Foto: Die Neue Sammlung – A. Laurenzo

Uns ist dieses, alljährlich im März zur SCHMUCK wiederkehrende Gewusel, das Sehen und Gesehenwerden im internationalen Schmuck-Korso, in diesem Jahr aus aktuellem Grund versagt geblieben. Ausgerechnet 2020, zum 100jährigen Gründungsjubiläum der Danner Stiftung! Dem Anlass für dieses Buch. Dessen Inhalten wir uns nun in aller Ruhe widmen können um hoffentlich dann, später im Jahr beim nächsten Münchenbesuch, der modernisierten und neu-kuratierten Danner Rotunde in der Neuen Sammlung. Staatliches Museum für angewandte Kunst. Design in der Pinakothek der Moderne München einen gut informierten Besuch abzustatten.

In seinem Vorwort beschreibt Dr. Gert Bruckner, der aktuell geschäftsführende Vorsitzende der Danner Stiftung: „entstanden ist die Idee, einen Schmuckraum in der Pinakothek der Moderne einzurichten aus dem gemeinsamen Wunsch der Neuen Sammlung… und der Danner Stiftung, dem zeitgenössischen Schmuck ein angemessenes und lebendiges Forum zu bieten.“ Wenn es so einfach gewesen wäre!

Die verschlungenen Wege und aufregenden Umstände um dieses Ziel zu erreichen werden im vorliegenden Buch anschaulich und fesselnd nachvollziehbar gemacht. Petra Hölscher‘s Konzept vermittelt dem Leser nicht nur das historische und chronologische Hintergrundwissen. Darüber hinaus sammelt sie sorgfältig dokumentierte Stimmen und Versionen aller Beteiligten. Sie entwickelt damit einen genialen Spannungsbogen, der die Leser schliesslich voller Neuigier in den Überfluss des Bestandskataloges eintauchen lässt.

Die Benno und Therese Danner’sche Kunstgewerbestiftung – kurz Danner Stiftung – wurde vor hundert Jahren von Therese Danner zum Gedenken an ihren verstorbenen Mann, auf Anregung des Königlich Bayerischer Hofgoldschmieds Karl Rothmüller, gegründet. Die Stiftung, deren Vermögen überwiegend aus Immobilienbesitz gespeist wird, wirkte über viele Jahrzehnte jenseits großer Öffentlichkeit. Erst mit dem, von 1981 bis 2005 wirkenden, geschäftsführenden Vorsitzenden Herbert Rüth, sollte sich das ändern: „Die Stiftung versteht Kunsthandwerk als eine handwerklich perfekt ausgeführte künstlerische Arbeit, die dem Bereich der angewandten Kunst zugeordnet ist.“ betont er. Diese hat mit einem aus kommerziellen Gründen sehr weit gefassten Begriff bis hin zu minderwertigen Souvenirartikeln nichts zu tun. „Dieses Verständnis von ‚echtem‘ Kunsthandwerk in das allgemeine Bewusstsein der Gesellschaft zu tragen, war für mich von Anfang an ein wichtiges Anliegen.“

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Danner-Preis 2017: Hiawatha Seiffert, Objektschale, 2014. Stahl, Maschinenkette, geschweißt, geschmiedet, gewachst, L 40 cm, B 50 cm, H 18 cm. Ausstellung „Danner-Preis 2017“, Museum Villa Stuck, München. Foto: © Danner-Stiftung | Eva Jünger

Neben all ihren Aktivitäten, wie z.B. auch der im Dreijahrestakt ausgeschriebene Wettbewerb zur Vergabe des hochkarätigen Danner Preises, sammelt die Stiftung seit jeher herausragendes Kunsthandwerk und Schmuck. Insbesondere Autorenschmuck, der dem Prinzip der Gestaltungsfreiheit in besonderem Maße folgt. Gerade München entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Hotspot einer modernen Schmuckauffassung, die sich von dem rein dekorativen Arrangement von Edelmetallen und gefassten Steinen entfernte um den Fokus auf den sensiblen künstlerischen Ausdruck zu legen. Auf Schmuck als Medium weitreichender Untersuchungen, die das Experiment mit Material und Gestalt, zeitgenössische Explorationen in sozialen, politischen und kulturellen Kontexten, ästhetische Phänomene und ihr Gegenteil sowie narrative „conversation pieces“ völlig selbstverständlich einschliessen. Schmuck als Statement und Spielfeld unbegrenzter Ausdrucksmöglichkeiten begeistert – „Schmuck macht süchtig!“ Darauf machte Florian Weichsberger schon 2004 aufmerksam.

Seit 1959 findet auf der Internationalen Handwerksmesse (IHM) jedes Jahr im März die Sonderschau SCHMUCK statt – jeweils von wechselnden Heroen der internationalen Szene kuratiert. Ihr Begründer, der Kunsthistoriker Dr. Herbert Hofmann, ist auch Namensgeber der alljährlich zu diesem Anlass vergebenen Preise. Die so ausgezeichneten Stücke werden regelmässig in die Danner Stifung aufgenommen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich SCHMUCK zu einem internationalen Ereignis, zu dem zeitgleich ungezählte Satelliten-Ausstellungen und Events in Museen, Galerien, an öffentlichen und privaten Orten Münchens stattfinden. Hier versammelt sich die ganze Welt des – Autorenschmucks.

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Hermann Jünger. Halsschmuck, 1957. Die Neue Sammlung – Dauerleihgabe der Danner-Stiftung, München. Foto: Die Neue Sammlung (Alexander Laurenzo)

Befeuert wurde diese Entwicklung zusätzlich durch die Aktivitäten der Klasse für Schmuck und Gerät an der Akademie der Bildenden Künste in München, insbesondere unter dem Einfluss ihrer kongenialen Leiter Hermann Jünger, von 1972 bis 1990, und Otto Künzli von 1991 bis 2014. Diese beiden spielen, gleichermaßen wie Herbert Rüth, entscheidende Schlüsselrollen für die Entstehung der zwei einzigartigen Sammlungen auf dem Gebiet des Autorenschmucks und als Ideengeber für die Danner Rotunde. Der vierte Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit war der hochverehrte, leider jüngst verstorbene, Florian Hufnagl, von 1980 bis 1990 Konservator, von 1990 bis 2014 Direktor der Neuen Sammlung. Sie alle, und einige ihrer einflussreichen Wegbegleiter in diesem langen Prozess, lässt Petra Hölscher ausführlich zu Wort kommen. Sie erlaubt spannende Einblicke in die Jahrzehnte währende, strategisch zielgerichtete Kooperation, die von gegenseitigem Respekt und Vertrauen in die jeweilige Kompetenz getragen wurde. Auch durch den Konsens im Anspruch an die höchste Qualität der Sammlung. Auch durch ihre Einigkeit in der Überzeugung mit der Realisierung der Danner Rotunde etwas Einzigartiges zu schaffen.

1700 Stücke umfassen die Sammlung der Danner Stiftung und der Neuen Sammlung derzeit, die wie ein funkelnder Schatz in den Tiefen der Danner Rotunde, am tiefsten Punkt der Pinakothek der Moderne, präsentiert wird – alle fünf Jahre in einer Neuinszenierung. Mit Mikiko Minewaki, Dozentin am Hiko Mizuno College in Tokio, Professor Hans Stofer, der erst jüngst als Leiter der Schmuckklasse vom Royal College in London an die Burg Giebichenstein in Halle berufen wurde und dem Münchner Schmuckkünstler Alexander Blank sind drei international renommierte Schmuckkünstler*innen einer jüngeren Generation der Einladung zur Neu-Interpretation der Danner-Rotunde im Jahr 2020 gefolgt. Sie wählten 243 Objekte aus. Ein neues Lichtkonzept der Münchnerin Flavia Thumshirn, einer weltweit geschätzten Lichtplanerin, wurde zeitgleich realisiert.

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Helen Britton. Broschen, 2000. Die Neue Sammlung – Dauerleihgabe der Danner-Stiftung, München. Foto: Die Neue Sammlung (Alexander Laurenzo)

Der Katalog bildet die Schmuckstücke, vor sachlichem Weiß fotgrafiert, in alphabetischer, also paritätischer Reihenfolge der Künstlernamen ab – und lädt zur präzisen Betrachtung ein. Autorenschmuck aus 31 Nationen! Jedes Objekt stellvertretend für einen individuellen kreativen Kosmos. Sehr einfühlsam wurden die historischen, namenlosen Stücke des Bestandes aus ethnologischem, volkskundlichem Kontext eingebunden. Als staunender Betrachter fühlt man sich versucht auch eine persönliche Neuordnung zu versuchen. Zum Beispiel der Chronologie der Entstehungszeiträume, den Stilen, den Charakteristika von Materialien und Techniken oder den Aspekten von Narration bis Abstraktion folgend um immer wieder zu anderen Fragestellungen und neuen Erkenntnissen kommen.

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Manfred Nisslmüller. Objekt „Krone“, 1985 (Installation des Künstlers). Die Neue Sammlung – Dauerleihgabe der Danner-Stiftung, München. Foto: Die Neue Sammlung (Alexander Laurenzo

Eine großartige Idee ist die Ergänzung des Kataloges durch die bebilderte Chronologie der Schmuckereignisse in Danner Stiftung und Neuer Sammlung seit 1920. Auf sehr einfache Weise offenbart sich hier visuell und inhaltlich der Wandel des Zeitgeistes – und weckt bei vielen Betrachtern sicher die ein oder andere Erinnerung an wirklich geniale Ausstellungsprojekte, großartige Künstler und inspirierende Vorträge. Der Anhang mit den Künstlerbiographien ist geradezu akribisch und als acht Punkt Buchstabenmeer auf 60 Gramm Papier wohl ein Zugeständnis an jene, die eine wissenschaftliche Vertiefung in die Materie erwägen.

Mit diesem wunderbaren Druckwerk ist Stiftung und Museum, mit finanzieller Unterstüzung der Ernst von Siemens Kunstsstiftung, ein großer Wurf gelungen. Bleibt zu hoffen, dass die formulierten Ansprüche und Ziele auch für die jüngere Generation der heute Verantwortlichen gelten. Die Qualität der Sammlung und der durch den Katalog vermittelte Überblick wecken die Hoffnung, das die Lebendigkeit und Vielfalt des zeitgenössischen Autorenschmucks weiterhin auf diesem hohen Niveau dokumentiert wird.

© Schnuppe von Gwinner

Schmuck – die Neue Sammlung – Danner Stiftung (Hrsg.)
576 Seiten, 21 x 27,5 cm, mehr als 1.000 Abb. mit über 1.700 Schmuckstücken
arnoldsche ART PUBLISHERS
Hardcover
 Deutsch / Englisch
Idee, Konzept, Text: Petra Hölscher
Gestaltung: Frederik Linke
€ 58 [D]

HIER ein lesenwerter SZ-Artikel vom 14.03. zur Eröffnung der Danner Rotunde 2020

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