Noch bis zum 19.April 2026 lädt die gleichnamige Ausstellung des Schmuckmuseums Pforzheim dazu ein, globale Esskulturen in all ihrer Vielschichtigkeit zu entdecken: “als Ausdruck von Repräsentation und Macht, als Medium für Austausch und Inspiration, als Träger von Erinnerung und Identität. Vom luxuriösen Barockbankett mit prunkvollem Tafelschmuck über höfische Trinkspiele bis hin zum Alltagsritual spannt sie den Bogen durch Zeiten, Regionen und Bevölkerungsschichten.“ Historische wie zeitgenössische Artefakte der Gold-, Glas-, Keramik- und Porzellankunst bilden im Dialog mit etnographischen Preziosen, mit Dingen des täglichen Gebrauchs ein ebenso sinnliches wie facettenreiches Panorama globaler Esskultur, deren Wahrnehmung und Bedeutung als immaterielles Erbe hier im Fokus steht.“
Die Ausstellung wird von einem ausserordentlich attraktiven Bilder – sorry – Katalog-Buch aus dem Verlag Arnoldsche Art Publishers begleitet, dessen spektakuläre graphische Aufmachung wir dem Ina Bauer Studio Stuttgart verdanken. Beim Essen isst das Auge mit! Dieser Gemeinplatz gilt auch für das Buch, in dem die opulente Darbietung der Exponate, als Solitäre freigestellter Fotografien, durch diverse graphische Schmankerl verfeinert wird.

Was einer Soße der Schmand-Klecks oder der Schluck Cognac sein kann, ist hier zum Beispiel der Einsatz eines hochwertigen, durchgefärbten Papiers in der Farbe „Natural Salmon“ für den Einband, sowie als mehrseitiger Vorsatz bzw. Nachsatz. Die geheimnisvoll zurückhaltende Prägeschrift des Titels auf dem Cover lockt die Neugier der Fingerspitzen und überläßt den Abbildungen eines Taschenmessers aus römischer Kaiserzeit und der Croissanttüte von David Bielander als ersten – und wirklichen – Objekt-Highlights in Buch und Ausstellung die Bühne.

Kopf-, Vorder- und Fußschnitt umkreist der Titel AUFGE TISCHT AUF GETISCHT derart wie andernorts LED-Laufschrift um Aufmerksamkeit wirbt – hier noch mit dem sehr speziellen Effekt, dass drucktechnisch bedingt alle 247 Seiten des aufgeschlagenen Buches von einem graphisch akzentuierten Muster eingerahmt werden. Den puristischen Objektabbildungen, die bewußt nicht chronologisch sondern in Analogien, z.B. von Farben und Formen, aufeinander folgen, tut das verspielte Muster der Rahmung ganz gut. Auch auf Seiten, wo Bilder und Titelzeilen sowie große und kleine Textblöcke neben- und übereinander um Aufmerksamkeit ringen passt es. Als Leser fühlt man sich schnell auf einer Art Entdeckungsreise, von aussergewöhnlichen Details, von formalen Parallelen über Kontinente und Zeiten hinweg, von technischen Raffinessen etc..

Die Typographie, die Schrift mal ganz groß, groß, mittel, klein und klitzeklein, dirigiert die Aufmerksamkeit des Lesers sehr subtil und spielerisch durch die Informationen der Textseiten. Durch den Garten des Inhaltsverzeichnisses, den Vorwort-Block, und die überwiegend zweispaltigen Lauftexte. Letztere tauchen immer wieder, nach einer großzügig bemessenen Folge reiner Bilderseiten, auf und vermitteln willkommen Wissenswertes, das immer wieder anders layoutet ist, von briefmarkenkleinen Abbildungen und / oder Fußnoten oder Bibliografien durchsetzt. Mich erinnert das stark an die Setzung von Links im Digitalen, hier eine probate Methode das Wissen aus einer hierarchisch anderen Dimension direkt zur Verfügung zu stellen.

Die verschiedenen Aufsätze lenken unsere Aufmerksamkeit auf selten erörterte Details und heben sie so ins Licht einer allgemeiner gefassten Betrachtung, so wie, unter vielen anderen, der „It’s magic“ Beitrag von Isabell Imel einige Geheimnisse aus dem Reich der Löffel lüftet oder Daniel Suebsman packend die Frage klärt, ob das Schneeballblütendekor zuerst in Meissen oder China aufkam. Ganz groß angekündigt, und in der Tat im Kontext des Buches sehr wichtig, das Kapitel „Begegnungen am Tellerrand“, in dem mit vielen, umsichtig kuratierten Bildern fantastisch illustriert wird, wie Geselligkeit am Esstisch viel mehr ist als ein Ritual, als Ausdruck von Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Vertrauen – als historisch gewachsener Kitt der Gesellschaft.

Dr. Andreas Volz beschreibt mit seiner weit reichenden kulturgeschichtlichen Betrachtung „Kultur geht durch den Magen“ Essen und Trinken als elementare Artikulation der kulturellen Wissens- und Glaubenssysteme – Nahrungsmittel und Pflanzen inspirierten nicht nur Rezepte und Essgewohnheiten sondern auch das Design von Geräten und Gefässen.
Schliesslich ermöglicht ein visuell spielerisch angelegtes Werkverzeichnis von 4000 v.Chr. bis 2025 das schnelle Wiederfinden von Lieblingsstücken und ihren vollständigen Legenden mit den vorher schmerzlich vermissten Angaben zu Material, Dimensionen und Sammlungsort.
Dieses ungewöhnliche Buch vermittelt uns auf eindringliche und charmante Weise wie wertvoll unser weltweit kulinarisches Netzwerk ist, in dem wir uns seit Jahrhunderten so kreativ und gegenseitig inspirierend begegnen.
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Jahnstraße 42, 75173 Pforzheim
Öffnungszeiten: Dienstags bis sonntags und feiertags 10 bis 17 Uhr
