… noch ein Abschied: Ade MK&G messe Hamburg

Zum Jahresbeginn 2025 sorgt ein Schreiben, unterzeichnet von Tulga Beyerle, der Leiterin des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg sowie von Sebastian Giesen, dem Vorsitzenden des Freundeskreises, der Justus Brinckmann Gesellschaft, für Unruhe in der Szene angewandter Kunst. Daraus zitiere ich:

„Wir, das Museum für Kunst & Gewerbe (MK&G) und der MK&G-Freundeskreis, die Justus Brinckmann Gesellschaft, schlagen neue Wege in der Förderung des zeitgenössischen Kunsthandwerks ein: In den letzten vier Jahren haben wir viel Energie und Leidenschaft investiert, um unsere MK&G messe weiterzuentwickeln und den Anforderungen an ein gelungenes Format gerecht zu werden. Nun haben wir die Entscheidung getroffen, einen bedeutenden Schritt zu machen. Das Format wird sich neu ausrichten: aus der Messe soll ein Salon werden, aus dem kurzlaufenden Marktformat eine mehrmonatige Ausstellung ausgewählter internationaler Positionen. Die MK&G messe wird ab diesem Jahr nicht mehr stattfinden, das bisherige Format entwickelt sich zu einem „MK&G Salon“ weiter. Dieser Wandel markiert allerdings nicht das Ende, sondern den Beginn einer neuen, aufregenden Ära für das Kunsthandwerk in unserem Haus.“

Tulga Beyerle | Foto: Julia Steinigeweg

Nur wenige Tage nach der Aussendung dieser Ankündigung sitze ich mit Tulga Beyerle in einem Hamburger Café. Wir sind beide durch eisig strahlenden Sonnenschein, der den diesigen Horizont über der Alster vielversprechend glitzern lässt, hierher gekommen. Wir trinken Zitronentee. Sprechen miteinander, hören uns zu. Lassen den Blick in die Vergangenheit und Zukunft schweifen

Ich schlage an dieser Stelle einen Rückblick vor, der so weit reicht wie ihn die Älteren unter uns vermutlich noch aus eigener Erfahrung erinnern können. Neunziger Jahre, Jahresmesse im MK&G. Hauptveranwortliche Veranstalterin war die Justus Brinckmann Gesellschaft. Die Regie lag bei Rüdiger Joppien. Rund 80 Aussteller, überwiegend aus den norddeutschen Bundesländern, sowie einige Gäste darüber hinaus. Ausgewählt von einer Jury mit relativ konstanter Besetzung (ich war 13 Jahre lang dabei). Das Niveau bemerkenswert, das Angebot überwiegend klassisches Repertoire aus den einschlägigen Gewerken. Hier und da ein Augenzwinkern, Kira Kotliars bunten Papierfiguren, die textile Gruppe „Angelika“ und manch andere. Erwartungsvolle Wiedersehensfreude und krachend volle Eröffnungen mit Preisverleihung am letzten Novemberdonnerstag, Laufzeit über drei Wochenenden und zwei Wochen. Die Gäste aus der Ferne kamen bei Hamburger Kollegen unter und gingen als Freunde für’s Leben.

MK&G messe 2022 Ausstellungsansicht | Foto: SvGwinner

Ein Besuch der „Weihnachtsmesse“ war nicht nur für sehr viele Familien aus Hamburg und Umgebung ein Muss. Sie war die Königin unter allen Kunsthandwerksmessen im ganzen Land, mit großer Strahlkraft über die Grenzen hinaus. Die Kontinuität der Veranstaltung begünstigte die Treue eines passionierten Publikums, ausgestattet mit Sachverstand und Liebe für die individuellen Qualitäten der Handwerkskunst. Weit über 20.000 Besucher wurden manches Jahr gezählt und die Umsätze bedeuteten für viele Aussteller einen sehr relevanten Teil ihrer Jahreseinkünfte.

Tempi passati! Das wissen wir alle!

Ich beschreibe dieses „Damals“ um deutlich zu machen, worin die Erwartungen und Ansprüche an diese älteste aller deutschen Museumsmessen sich gründen. Als renommierte Institution, die auserwählten KunsthandwerkerInnen aller Generationen zum Jahresende die großartige Möglichkeit bietet ihre Werke zu präsentieren und zum Verkauf anzubieten, trägt sie eine große Verantwortung. Ihre Kontinuität und Qualität für Künstler wie Kunden sind die Basis der von allen erwünschten Win-Win-Situation. Gehen die Lichter aus, fühlen sich die betroffenen Akteure im freien Fall. Die Option Messe bot immer eine Perspektive, das Ausjuriertwerden eingeschlossen. Keine Messe ist keine Option – aus der Perspektive der Aussteller, zumindest derer, die über viele Jahre dabei sein durften, führt ihre Aufgabe zu existentieller Angst.  Als Messe des MK&G war sie zwar Ausstellung, Begegnungsort, Netzwerk – doch insbesondere auch Markt!

MK&G messe 2024 Ausstellungsansicht | Foto: Julia Schwendner

Wir alle wissen nur zu gut, dass sich in den letzten Jahrzehnten ALLES geändert hat. Die Konkurrenz kommerzieller Anbieter, die rasant zunehmende Bedeutung digitaler Plattformen, ein verändertes Konsumverhalten und der deutlich steigende organisatorische und finanzielle Aufwand um eine solche Messe zur veranstalten. Ganze Generationen Hamburger Familien haben auf der Messe eingekauft. Tulga Beyerle sagt: “die Messe ist doch nicht dafür da die Weihnachtsgeschenke zu liefern! Das ist nicht die Aufgabe des Museums.“ Der ernsthafte Anspruch des Museums, mit der „Jahresmesse Kunsthandwerk“ und auch der „MKG messe“, war es immer und vor allem eine hochkarätige, sorgfältig kuratierte Schau der Besten zu bieten. Auch die Aussteller fühlten sich besonders gewürdigt, wenn sie teilnehmen durften.

MK&G messe 2024 Ausstellungsansicht | Foto: Julia Schwendner

138 Jahre sind wirklich eine langer Zeitraum, in dem die Messe des MKG immer wieder strukturell aktualisiert wurde. Und nicht immer hatte man das Gefühl, das sie geliebtes Kind im eigenen Haus war. Als kommerzielle Veranstaltung war sie auch Fremdkörper im Ausstellungsprogramm und den Medien gegenüber schwer vermittelbar. Andererseits flösste ihre traditionelle Reichweite Respekt ein. Im Jahr 2020 kam es zu einer ersten Pause vor dem Neustart. Auch die erfrischte MK&G messe betonte ihre Anciennität und nutzte diese um eine neue, innovative Variante des ursprünglichen Messekonzeptes zu bewerben. Bei halbierter Ausstellerzahl wurden dem ohnehin sehr heterogenen Feld des Kunsthandwerks zeitgenössische Positionen des Unikatdesigns und der Objektkunst, konzeptuelle Arbeiten und Experimentelles hinzu gefügt. Äusserst ambitioniert, mutig und modern. Sicher nicht unwesentlich inspiriert von jungen Messen, wie „Object“ in Rotterdam oder „Collectible“ in Brüssel, die jedoch kommerziell betrieben deutlich andere Standmieten aufrufen und Partnerschaften eingehen können. Sie adressieren, als aktuelle Trends aufgreifende Neuschöpfungen, erfolgreich ein internationales Sammlerpublikum.

MK&G messe 2023 Ausstellungsansicht | Foto: SvGwinner

Diesen Ehrgeiz vermute ich persönlich auch in der Neuausrichtung der MK&G messe seit 2020: welch aufregender, spannender Gedanke die internationalen Strömungen der Objektkunst ins Haus zu holen! Doch das führte ganz offensichtlich auch zu einer Überforderung aller Beteiligten. Das Traditionelle mitnehmend und die Innovationen feiernd entstand ein eher diffuses Bild dessen, was man heute unter Kunsthandwerk, Design und angewandter Kunst subsumieren könnte – so war mein Eindruck. Irritationen auf Seiten der Kunsthandwerker wie des Publikums blieben nicht aus.

MK&G messe 2024 Ausstellungsansicht | Foto: Julia Schwendner

Nun kündigt das Museum an, neue Wege in der Förderung des zeitgenössischen Kunsthandwerks einzuschlagen. „Ich will das überhaupt nicht verschwinden lassen,“ sagt Tulga Beyerle, “doch der Aufwand den wir betreiben um fünf Tage Messe zu organisieren sprengt die Kräfte und Möglichkeiten des Freundeskreises und auch des Museums. Wir haben nicht den Atem für dieses Format und die erforderlichen Investitionen. Vielleicht ist die Messe auch nicht mehr das richtige Format um diese Kategorie unserer Kultur angemessen darzustellen? Wir werden weiter für Sichtbarkeit, Diskurs und Wertschätzung des Kunsthandwerks eintreten, aber ich nehme den Markt raus. Bitter ist natürlich auch, dass wir in den letzten Jahren sehr viel investiert haben. Wir haben die Messe neu gestaltet, wir haben eine neue Website eingerichtet, eine neue CI entwickelt und so fort. Nun werde ich in die Analen eingehen als die, die diese Traditionsmesse beendete.“

MK&G messe – 2022 Förderpreisträgerin Jiun-You OU im Gespräch | Foto: SvGwinner

In Zukunft soll es also darum gehen eine Alternative zu entwickeln die den aktuellen Anforderungen auch aus Museumssicht angemessen antwortet. Es sei wichtig die Zeit bis 2026 zu nutzen um „einen Resonanzraum zu schaffen aus dem Ideen und Vorschläge für diese neue Veranstaltung kommen können,“ betont Tulga Beyerle. „Der Arbeitstitel ‚Salon‘ meint diesen Begriff als Ort des Diskurses und der Auseinandersetzung, ist etwas zeitgeistig, vielleicht auch elitär, symbolisiert aber vor allem das Gespräch als Grundlage,“ erklärt sie und skizziert: „Dem Handwerk den Raum geben, in Formaten wie Ausstellungen, das ist was wir können, wo wir gut drin sind. Das steht dann sechs Monate, wohlmöglich mit einem Nominierungsverfahren, wohlmöglich mit einem Preis, den wir sogar aufwerten möchten, damit es ein wirklich wichtiger Preis wird. Dazu eine Art Konferenz oder Symposiumsformat, nicht abgelenkt durch ein Messegeschehen sondern nur um sich zu treffen und auszutauschen.“

 So der bisherige Plan.

Contemporary Craft 2022 Young-Jae Lee | Foto: SvGwinner

„Ziel ist es, mit diesem neuen Auftritt an die erfolgreiche Ausstellungsreihe „Contemporary Craft“ – in der bisher das Werk von Young-Jae Lee, Margit Jaeschke und aktuell Hanne Friis vorgestellt wurde – anzuknüpfen und eine Plattform zu schaffen, die dem zeitgenössischen Kunsthandwerk eine nachhaltige und intensive Aufmerksamkeit sichert und zum Dialog einlädt.“

Die MK&G messe wollte immer und bis zuletzt genau das sein! Diesem hedonistischen Anliegen stellen nun die ökonomischen Erfordernisse ein Bein. Darüber hinaus jedoch auch die überwältigend große inhaltliche und konzeptionelle Herausforderung dieses musealen Messeformats. Sie verlangt nach einer passionierten Expertise die heute schwer zu bekommen ist. Und für die erfolgreiche Suche nach finanzieller und medialer Unterstützung ist ein nichtkommerzielles Konzept bestimmt vorteilhaft.

Hamburg 2.2.2025 an der Aussenalster

Mit ihrer Entscheidung versagen sich das Museum und die Fördergesellschaft die Option einer letzten MK&G messe 2025, mit der sie sich den gewünschten Resonanzraum doch ins Haus holen könnten.  Um – wie in dem o.g. Anschreiben erklärt – „die unterschiedlichen Expertisen, die Inspiration und Wertschätzung, die die Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker all die Jahre ins Haus brachten“ im engen Austausch und mit konkretem Anliegen zu nutzen. Das abprubte Aus der Messe weckt zumindest meine leisen Zweifel. Ist man im MK&G wirklich dazu bereit, der so dankbar beschworenen Expertise aus dem Kreis des Kunsthandwerks echte Aufmerksamkeit zu zollen? Mit tatsächlichen Konsequenzen für die Konzeption des avisierten ‚Salon‘ Formates? Für mich klingt es eher nach dem verständlichen Bemühen eine positive Perspektive in Aussicht zu stellen, die aber vorerst doch nicht mehr sein kann als das diesige Glitzern am Horizont.

Text: Schnuppe von Gwinner

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