Herlinde Koelbl „Metamorphosen“: Leipzig bis 01.04.2024

Herlinde Koelbl, Ikone der zeitgenössischen Fotografie, deren konsequenten Dokumentationen  die  Veränderungen von Menschen und Medien in das Zentrum ihres Schaffens stellen, hat in den letzten Jahren ihren Blick von den Menschen auf die Natur erweitert. Bekannt wurde sie mit ihrem Langzeitprojekt der Neunzigerjahre, „Spuren der Macht. Die Verwandlung des Menschen durch das Amt“. Auf ihren vielen Reisen, in viele verschiedene Länder, geriet jedoch immer mehr auch die Flora in ihren Fokus. Vor allem das Stadium, in dem sie den vermeintlichen Zenit ihrer Schönheit überschritten hat.  Nichts – hier wie da – bleibt wie es ist. Das einzig Beständige ist die Veränderung.

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Ausstellungsansicht „Metamorphosen“, Herlinde Koelbl | Foto: SvGwinner

Zwischen die 160 fotografischen Werke der Leipziger Schau hängt Herlinde Koelbl das Foto eines Neugeborenen “ der erste Schrei“ und sie beharrt darauf, dass dieses Foto tatsächlich den allerersten Schrei dokumentiere, das sei essenziell. Nichts kann beginnen ohne die Entstehung des Lebens. Sie entdeckt für sich und uns die Vergänglichkeit als eine neue Schönheit, die am Kipppunkt des Verfalls, des Verwelkens einsetzt, den Urspung des Lebens beinhaltet und ohne ein gutes Leben davor unmöglich wäre.

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Ausstellungsansicht „Metamorphosen“, Herlinde Koelbl | Foto: SvGwinner

Meterhohe Leuchtkästen begrüssen die Besucher in der Ausstellung. Überdimensionierte und auf den ersten Blick abstrakt wirkende Pflanzendetails, Strukturen und Farbstürme überwältigen gewohnte Sehweisen und wecken faszinierte Begeisterung. So eingestimmt entfalten auch die an den Wänden präsentierten kleineren Formate unterschiedlichster Planzenmotive ihre Wirkung. Sehr bewusst gibt es keine Titel oder Beschreibungen, die Betrachter bleiben ganz ihrer eigenen Fantasie überlassen.

Ein  bezauberndes, ebenso fragil wie üppiges Trockenblumengesteck bietet im „Remember Room“ Kontemplation: „do you remember the blue sky?“… „do you remember a sunny day?“… „do you remember daysies in the lawn?“ … An anderer Stelle nimmt ein Video uns mit nach Myanmar, in  Regen, Sturm und eine tropische Pflanzenwelt. Eine weitere Bilddokumentation führt zu einer stillen Reflexion auf die Friedhöfe dieser Welt, zur Betrachtung unterschiedlichster Grabsteine aller Religionen. In der Orangerie des Museums verbindet sich der hängende Zaubergarten von Herlinde Koelbl mit dem Draussen, dem jahreszeitlich sich wandelnden Rehgarten, der Oase inmitten der Museumsarchitektur, und leitet über in eine weitere Videoinstallation, die uns die gleichzeitig so lebendige wie morbide Innenwelt der Pflanzen in ihrer überwältigenden Farbigkeit und Schönheit nahe bringt.

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Ausstellungsansicht „Metamorphosen“, Pressekonferenz mit Herlinde Koelbl | Foto: SvGwinner

Die Jahreszeit für die Ausstellung der „Metamorphosen“ von Herlinde Koelbl könnte nicht besser gewählt sein. Üblicherweise begeistern wir Menschen uns ja für das Entstehen –  für den Frühling, für das Werden und Gedeihen. Das Verwelken und Vergehen stimmt uns melancholisch und weckt unser Bewußtsein für die eigene Endlichkeit. Doch die Botschaft der Bilder von Herlinde Koelbl gibt uns Trost und Zuversicht das Unvermeidbare anzunehmen anstatt es zu bekämpfen. Denn die Voraussetzung für dieses faszinierend schöne Vergehen ist ein blühendes, genussvolles Leben.

„Das Leben ist Sterben lernen“ sagt Michel de Montaigne – die Pflanzen machen uns das vor.

© Schnuppe von Gwinner

Grassimuseum für Angewandte Kunst

Johannispl. 5-11

04103 Leipzig

Öffnungszeiten: Di–So, Feiertage: 10 – 18 Uhr |Montags sowie am 24.12. und 31.12. geschlossen.
Freier Eintritt an jedem ersten Mittwoch im Monat.

KATALOG

128 Seiten, 116 Abbildungen für 45,00 € im Steidl Verlag (fester Einband / Leineneinband, 21 x 28.5 cm, in Deutsch / Englisch)
ISBN 978-3-96999-121-3